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„Damit befasse ich mich nicht“

Tennisprofi Marcelo Rios bleibt klare Nr. 1 der Muffel-Weltrangliste. Sein Repertoire umfaßt Einsilbigkeit, Allgemeinplatz, Binsenweisheit und Gegenfrage  ■ Aus Hannover Matti Lieske

Marcelo Rios hat keine Ahnung, wie er sich den Ruf des größten Unsympathen der Tennistour eingehandelt hat. „Ich bin ein ganz normaler Typ“, behauptet der 22jährige Chilene, „ich gehe auf den Platz, spiele wie jeder andere, gehe zur Presse, ganz normal.“ Hilft ihm alles nichts. Die Journalisten haben ihm ein Dauerabonnement auf die „Zitrone“ geschenkt, den Preis für den widerwärtigsten Schlägerschwinger auf Erden, die Gegner reden nicht allzu freundlich über ihn, und das Publikum traut ihm nicht über den Weg.

Als er bei seiner 5:7, 1:6-Niederlage gegen Tim Henman am Dienstag abend bei der ATP-WM in Hannover zum Schluß die Bälle recht kläglich ins Netz beförderte, argwöhnte die Menge sofort irgendeine Schändlichkeit und pfiff den Weltranglistenzweiten nach Kräften aus. Dabei hatte dem nur ein altes Rückenleiden die nötige Beweglichkeit geraubt. „Das ist in Ordnung, wenn sie pfeifen, weil sie glauben, jemand gibt nicht alles auf dem Platz“, sagte ein ziemlich kleinlauter Rios später und führte eine Reihe von Gründen an, die seine empfindliche Dorsalpartie beeinträchtigt haben könnten.

Die langen Flüge zum Turnier in Santiago und zurück, die Notwendigkeit, sofort „hundert Prozent“ zu geben, wenn man gegen die Besten der Welt spiele, die große Spannung, die bei einem so wichtigen Turnier wie der ATP-WM da sei. Schließlich geht es um den Rang der Nummer eins zum Jahresende, den sowohl Pete Sampras als auch Rios in Hannover noch erreichen können. Sampras redet seit Wochen von nichts anderem mehr, Rios spielt, wie fast alles andere, auch diese Angelegenheit herunter. „Ich mache mir keine Gedanken, ob ich die Nummer eins, zwei oder drei bin“, sagt der Chilene. Er weiß aber, daß die ATP-WM seine Chance ist, ein hervorragendes Jahr mit sieben Turniersiegen und sechs Wochen als Weltranglistenprimus zu krönen und die Anerkennung einzuheimsen, die bisher ausblieb.

Erstens hat er kein Grand- Slam-Turnier gewonnen. Zweitens ist sein wenig spektakulärer Stil nicht dazu angetan, die Menschen von den Sitzen zu reißen. Er schlägt solide, aber nicht überragend auf und spielt seine Kontrahenten vorzugsweise von der Grundlinie aus, indem er sie mit wohlplazierten Schlägen immer mehr in die Enge treibt. Hat der Gegner Aufschlag, bringt er ihn oft schon mit seinem vorzüglichen Return in die Bredouille, entreißt ihm mit klugem, variablem Spiel die Initiative im Ballwechsel oder passiert ihn mit seinem perfiden Cross. Schwächer ist Rios am Netz, wo er gegen Henman die entscheidenden Punkte im ersten Satz vergab, weil er das Risiko scheute.

Der schwächste Punkt in der Karriere des Marcelo Rios ist jedoch nach wie vor die Selbstdarstellung. In Chile ist er der vergötterte Held, seine Matches werden live im Fernsehen übertragen, die Zahl der Freizeitspieler nimmt ständig zu und seine Wirkung auf den chilenischen Tennissport ist durchaus vergleichbar mit der von Boris Becker auf den deutschen vor 13 Jahren. Seiner Maulfaulheit, die vor den Journalisten aus der Heimat keineswegs haltmacht, tut das keinen Abbruch.

Rios beherrscht alle Facetten der Aussageverweigerung. Den Allgemeinplatz, die Binsenweisheit, die einsilbige Antwort, das angebliche Nichtverstehen und, besonders gern verwendet, die Gegenfrage. Nie käme er auf die Idee, freiwillig etwas preiszugeben, wonach nicht dezidiert gefragt wurde. Seine liebsten Antworten lauten: „Weiß noch nicht“, „Vielleicht“ und „Damit befasse ich mich nicht“. Kein Zweifel: Marcelo Rios ist ein Muffel von globalen Ausmaßen, und nichts deutet darauf hin, daß er dies in absehbarer Zeit zu ändern gedenkt. Sichtlich genervt ist er allerdings davon, daß er ob seiner verbalen Kargheit gleich zum bösen Buben des Tennis hochstilisiert wird, und dementiert, zur Bekräftigung des guten Willens, gleich seine kolportierte Aussage, daß es auf der Tennistour zugehe wie beim Militär.

Helfen wird ihm das wenig. Die Zitrone von den Medien ist ihm so lange gewiß, wie er an seiner steffihaften Überzeugung festhält, es sei ausreichend, sein Match runterzuspielen und wieder zu verschwinden. Nicht umsonst soll das Frauentennis künftig sogar von einem namhaften Hollywood-Regisseur aufgepeppt werden. Wenn ähnliche Konzepte auch bei den Männern Anwendung finden, gibt es eine Rolle, über deren Besetzung man sich keine großen Gedanken machen muß. Und es handelt sich nicht um die des „nice guy“.

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