: Deutschland als akademische Sahelzone
■ OECD-Studie zeigt: Deutschland leidet unter einem zunehmenden Bildungsrückstand gegenüber anderen Industrieländern. Neue Bildungsministerin verspricht prompt Besserung
Berlin (taz) – Akademikerschwemme? Zu viele Studienabbrecher? Schon wieder räumt ein internationaler Vergleich mit Mythen der deutschen Bildungsdebatte auf: Deutschland leidet unter einem Mangel an Akademikern – zu diesem Ergebnis kommt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Während die Studentenzahlen in anderen Ländern stark ansteigen, stagnieren sie hierzulande. Nur jeder vierte deutsche Jugendliche nimmt ein Studium auf, im Durchschnitt der OECD- Länder ist es jeder dritte. Einen Abschluß erreichen in Deutschland nur 16 Prozent eines Altersjahrgangs, im OECD-Schnitt sind es 22 Prozent. „Wenn sich daran nichts ändert, muß sich die Bundesrepublik hochwertige Arbeitskräfte künftig aus dem Ausland holen“, warnt OECD-Mitarbeiter Andreas Schleicher.
Die Zahl der Studienabbrecher sei dabei nicht das zentrale Problem, ergänzt Schleichers Kollege Michael Bruneforth. Mit einer Abbruchquote von rund 30 Prozent liege Deutschland im Durchschnitt, und der häufigste Grund für ein vorzeitiges Ende des Studiums sei der Wechsel ins Berufsleben. Das zeige, daß die Studiendauer für viele Berufsfelder schlicht zu lang sei. Deshalb empfiehlt der Statistiker die Einführung von Kurzstudiengängen.
Ohnehin sehen die OECD-Experten die Lösung nicht darin, „das deutsche Hochschulsystem, so wie es ist, einfach aufzublasen“. Schließlich werde derzeit schon die geringe Zahl von Studierenden schlecht betreut – obwohl es „auf dem Papier“ genug Professoren gebe. Deshalb führe an einer stärkeren Kontrolle der Lehrenden und Forschenden kein Weg vorbei: „Wenn ich vor verschlossenen Bürotüren stehe, kommt die Forschung der Lehre nicht zugute.“
Bei der neuen Bildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) stoßen solche Forderungen auf offene Ohren. „Das jahrelange Gerede der Konservativen von der Akademikerschwemme ist Unisinn“, sagte sie. Die Hochschulen sollten mehr Mittel als bisher erhalten, kündigte sie an – ohne jedoch Zahlen zu nennen. Sie verwies zugleich auf die Pläne, das Bafög und das Dienstrecht der Professoren zu reformieren, um die Rahmenbedingungen für das Studium attraktiver zu machen.
Aus der individuellen Perspektive ist das Studium attraktiv genug, glaubt OECD-Experte Bruneforth: „Die Arbeitslosenquote liegt bei Akademikern immer noch erheblich niedriger als bei Nichtakademikern.“ Zudem verdienten Hochschulabsolventen im Schnitt um die Hälfte mehr als Berufstätige mit Abitur oder vergleichbarem Abschluß. Ralph Bollmann
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