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Nachschub für Asiens Sexindustrie

Die Asienkrise erhöht den Migrationsdruck und begünstigt Frauenhandel und Prostitution. Kinder brechen die Schule ab und landen auf dem Pädophilenmarkt. Die Freier werden brutaler und drücken die Preise  ■ Von Christa Wichterich

Bonn (taz) – „Die Krise liefert der internationalen Sexindustrie Nachschub“, sagt Jean Enriquez, die auf den Philippinen mit Prostituierten arbeitet. Sie beobachtet derzeit einen Zustrom neuer Sexarbeiterinnen und Kinderprostituierter auf den Straßen und in Bars. Auch in Thailand bilden Frauen, die in der Wirtschaftskrise ihren Job in der Exportindustrie, am Bau und im Servicesektor verloren haben, jetzt einen neuen Rekrutierungspool für die Schlepper der Sexindustrie. Kinder brechen die Schule ab, suchen nach einer Verdienstmöglichkeit und landen auf dem Pädophilenmarkt.

„Ob Krise oder nicht, die Nachfrage nach Prostitution hält an“, meint Enriquez, „aber die Freier haben weniger Geld.“ Das bestätigt Chantawipa Noi Apisuk von der Organisation „Empower“ aus Bangkok. Die Freier würden die Preise drücken, seien schlechter gelaunt und oft brutaler. Kondome sind teurer geworden. Die Konkurrenz unter den Prostituierten wächst und wird noch verschärft durch billigeren und willigeren Nachschub aus Birma, China und Kambodscha. Gleichzeitig hat Thailands Regierung kein Geld mehr für Sozialprogramme. Bildungsangebote und Gesundheitsvorsorge für junge Prostituierte wurden ausgesetzt. Diese prekäre Situation ist ein gefundenes Fressen für Frauenhändler und Schlepper. Mit dem Versprechen von Ein- und Auskommen in der „Unterhaltungsindustrie“, als Hausangestellte oder Ehefrau locken sie die Frauen ins Ausland. 94 Prozent der philippinischen Migranten in Japan sind Frauen, die meisten davon im „Unterhaltungsgewerbe“ tätig.

Die Krise erhöht für die Frauen den Druck, sich auf zweifelhafte Angebote einzulassen. Weil die meisten Zielländer die Einreisebedingungen verschärft haben, suchen mehr Frauen den Weg über eine Heirat und begeben sich in die Fänge der Menschenhändlermafia. Für die Reise in ein gelobtes Land wie Deutschland zahlen sie bis zu 20.000 Mark. Deutsche Organisationen wie Solwodi, terre des femmes und Ban Ying bekommen nun immer häufiger Hilferufe von Frauen, die in die Ausbeutungsfalle des organisierten Sexverbrechens geraten sind.

Als einen ökonomischen Sektor mit wachsender Bedeutung bezeichnet Lin Lean Lim von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) in Genf die globalisierte Sexindustrie: „Am Anfang hatte ich nur die Prostituierten im Blick, bis ich erkannte, daß sie in einem riesigen System agieren, von dem Millionen Menschen direkt oder indirekt profitieren.“ Vom Türsteher der Bar in Bangkok bis zum Taxifahrer in Berlin, von der Tante, die in entlegenen Dörfern Asiens Mädchen anwirbt, bis zum Paßfälscher.

Auf einer Tagung der Friedrich- Ebert-Stiftung in Bonn beklagte Lin Lean Lim, daß die meisten Staaten der globalisierten Sexindustrie nicht eindeutig die rote Karte zeigen: Nicht nur sind Regierungsangestellte häufig selbst in die Geschäfte verwickelt, sondern die Rechtslage ist oft unklar. Verbot und Kriminalisierung der Sexgeschäfte sind kontraproduktiv: denn diese verschwinden lediglich im dunkeln. Soll aber das ganze Gewerbe legalisiert werden, um alle Prostituierten und Etablissements registrieren und besser kontrollieren zu können? Soll man Prostitution als Beruf anerkennen, damit die SexarbeiterInnen Rechtsansprüche haben wie andere Berufstätige auch?

Enriquez und Lea Ackermann von Solwodi plädieren für die Entkriminalisierung der Prostitution, wollen sie aber nicht als Beruf anerkannt sehen. Denn dies würde die komplexen Zwangsverhältnisse verharmlosen. Einigkeit besteht darüber, daß mit gesetzlichen Regelungen und Rechtsschutz allein der internationalen Sexindustrie nicht beizukommen ist. Frauen brauchen alternative Einkommensquellen, präventive Aufklärung, Rehabilitationsmaßnahmen und mehr Selbstwertgefühl, damit sie sich nicht selbst opfern oder zu Opfern werden.

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