: Schlechter Tag für Schlächter
■ Vier Mächtige erlernen Machtlosigkeit: Der Chilene Pinochet ist nicht immun, Beweise gegen Öcalan verdichten sich, der jugoslawische Generalstabschef Perisić ist abgesetzt, und Argentiniens Ex-Admiral Massera ist verhaftet
Berlin (taz) – An diesen Männern scheint nichts Menschliches. Sie haben foltern, morden, vertreiben und vergewaltigen lassen. Im Namen der Gerechtigkeit möchte man sie bestrafen: den chilenischen Ex-Diktator Augusto Pinochet für sein brutales Regime, das Tausende das Leben kostete; den PKK-Chef Abdullah Öcalan für den Terror, den er nicht nur gegen den türkischen Staat, sondern auch gegen seine eigenen Leute richtete; den jugoslawischen Generalstabschef Momcilo Perisić, der für die Bluttaten auf dem Balkan mitverantwortlich ist; und schließlich Emilio Massera, ehemals eines der drei Mitglieder der argentinischen Militärjunta.
Lange konnte man ihrer nicht habhaft werden. Die Schlächter und Mörder, die selbst kein Gesetz achteten, beriefen sich auf Gesetze und Vereinbarungen, auf Immunität und Amnestie. Nun aber scheinen sie damit nicht mehr durchzukommen. Großbritanniens Lordrichter hoben gestern, ausgerechnet an Pinochets 83. Geburtstag, in einer sensationellen und bis zur letzten Sekunde spannenden Urteilsverkündung die Immunität des Generals auf – von fünf Richtern gab der letzte mit seiner Stimme den Ausschlag.
Damit muß der Chilene in Polizeigewahrsam bleiben. Ob er an Spanien ausgeliefert wird, hängt zwar noch von der Zustimmung des britischen Innenministers Jack Straw ab. Doch auf jeden Fall kann Pinochet nicht mehr seinen Lebensabend mit Reisen und Teetrinken bei der britischen Ex-Premier Margaret Thatcher gestalten, als sei nichts gewesen.
Auch für den argentinischen Ex-Admiral Massera kam gestern das Ende. Der 73jährige, der unter anderem für die Entführung von Babys, die von inhaftierten Frauen in Folterzentren zur Welt gebracht wurden, verantwortlich ist, wurde in seinem Heimatland verhaftet. Zwei Familien dieser rund 500 „verschwundenen“ Kinder hatten Anzeige erstattet. Massera wird sich sehr wahrscheinlich vor Gericht verantworten müssen.
Von seinesgleichen verstoßen wurde gestern hingegen Perisić; der jugoslawische Präsident Slobodan Milošević setzte den Generalstabschef im Zuge der „Säuberung“ der Armee ab. Perisić gilt zwar nicht als der schlimmste Schlächter an Milošević' Seite, wurde aber in Kroatien in Abwesenheit als Kriegsverbrecher verurteilt. Die Rechtsstaaten und internationalen Organisationen, die Opfer und nicht zuletzt die Vereinten Nationen als Hüter der Menschenrechte und des Weltfriedens wollen die Männer nicht mit einem Klaps auf die Finger davonkommen lassen. Doch oft muß man sich juristischer Hilfskonstruktionen bedienen; etwa bei Pinochet, der im eigenen Land nicht angeklagt wird – dort ist Versöhnung angesagt – und nun in Spanien vor Gericht soll, weil er spanische Staatsbürger auf dem Gewissen hat.
Bei Öcalan will man einen Prozeß im Herkunftsland vermeiden. In der Türkei käme es vermutlich nicht nur zu einem politischen Schauprozeß, sondern auch zur Todesstrafe, die genauso schnell, wie das türkische Parlament sie nun abschaffen will, wiedereingeführt werden könnte.
Die Bundesrepublik erstarrt nun, da sie wirklich Zugriff auf Öcalan hat. Nach Gerechtigkeit rief man mit einem Haftbefehl, solange nicht zu befürchten war, daß man den PKK-Chef überhaupt je in die Finger bekommen könnte. Dabei erklärte gestern Generalbundesanwalt Kay Nehm, die Beweise gegen Öcalan seien so schwerwiegend, „daß sie mit großer Wahrscheinlichkeit für eine Verurteilung ausreichen“. Daß Proteste und Terror befürchtet werden, wenn Öcalan vor Gericht gestellt wird, steht außer Zweifel.
Zum ersten Mal aber müssen mit den gestrigen Ereignissen Diktatoren wie Pinochet mehr befürchten als ihren Machtverlust. Volkmar Deile, Generalsekretär von amnesty in Deutschland, zur taz: „Wir begrüßen es als großen Fortschritt, daß die Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit Vorrang erhalten hat vor nationalen Amnestieregelungen.“ Silke Mertins
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