Krümmel-Gutachten entzweit Experten

Teilnehmer an Studie kritisiert die These von Schmitz-Feuerhake, wonach aus dem AKW Plutonium entwichen sein müsse: Strahlenspuren könnten auch aus Atomwaffentests stammen. Kommission fordert neue Messungen  ■ Von Jürgen Voges

Hannover (taz) – Die Hausstaubproben aus der niedersächsischen Gemeinde Elbmarsch, in denen Bremer Wissenschaftler Spuren von Reaktorplutonium aus dem AKW Krümmel gefunden hatten, sollen noch einmal sorgfältig durchgemessen werden. Dies empfiehlt die Expertenkommission „Leukämie in der Elbmarsch“ der Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein, die sich am Mittwoch abend mit dem Bericht der Bremer Professorin Inge Schmitz-Feuerhake über Plutoniummessungen in der Elbmarsch befaßte. Währenddessen kritisierte der Leiter der Strahlenmeßstelle der Bremer Universität, Gerald Kirchner, scharf die Schlußfolgerungen von Schmitz- Feuerhake. Er hat selbst einen Teil der Messungen an den Hausstaubproben durchführt. Kirchner hält die Grundthese von Schmitz-Feuerhake für falsch, nach der das in sieben von zehn Hausstaubenproben gemessene Plutonium-Zerfallsprodukt Americium-241 nur auf Plutonium-241 aus dem Reaktor Krümmel zurückgehen kann.

Der schleswig-holsteinische Energiestaatssekretär Wilfried Voigt (Grüne) hat gestern die beiden Kontrahenten für den kommenden Mittwoch zu einem Fachgespräch nach Kiel gebeten. Öffentlich meldete Voigt allerdings unter Berufung auf Kirchner bereits „Zweifel an der wissenschaftlichen Seriosität von Frau Schmitz- Feuerhake“ an. Sollten sich diese Zweifel erhärten, sei eine weitere Mitarbeit der Physikerin an einem vom Energieministerium in Auftrag gegebenen strahlenbiologischen Gutachten zu Krümmel nicht mehr sinnvoll, droht der Grünenpolitiker.

Bei oberirdischen Atomwaffentests sei sehr wohl bis in die 60er Jahre Plutonium-241 freigesetzt worden, erläuterte Kirchner seine Kritik gegenüber der taz. Auch das in vier Proben gemessene Verhältnis des Plutonium-Isotops 238 zu den Isotopen 239 und 240 stimme mit dem Muster überein, wie es in dem Niederschlag von Atomwaffentests stammt. „Es ist nicht richtig, daß Americium-241 und Plutonium-241 nicht im Fallout der Atomversuche enthalten waren. Sie wurden nur sehr selten gemessen“, sagte Kirchner, „weil sie weit ungefährlicher als die anderen Plutonium-Isotope sind.“ Er bestätigte allerdings, daß in den Kontrollmessungen von Hausstaubproben aus Lüneburg, Bremen und Oldenburg kein Americium enthalten war. Dies hatte die Professorin als ein Indiz für ihre These gewertet.

Inge Schmitz-Feuerhake wies die Kritik ihres Kollegen harsch zurück: Das sei „von vorn bis hinten dummes Zeug“. Es gebe in der Bundesrepublik keine mit den üblichen Meßmethoden nachweisbare Grundbelastung mit Americium-241. Das von ihr gemessene Zerfallsprodukt von Plutonium-241 könne deswegen nicht aus Atomwaffenversuchen stammen, sagte Schmitz-Feuerhake. Der in beiden Analysen der Plutonium- Isotope gemessene Wert für Plutonium-239 sei so gering, daß Atomtest als Ursache ausgeschlossen seien.

Auch in der Expertenkommission „Leukämie in der Elbmarsch“ tobte der Expertenstreit: Nach einer dreistündigen kontroversen und zuweilen lautstarken Debatte der 20 Wissenschaftler empfahl die niedersächsische Hälfte des Gremiums – die sogenannte „Arbeitsgruppe Belastungsindikatoren“ – das AKW Krümmel zumindest so lange abgeschaltet zu lassen, bis die Befunde von Schmitz-Feuerhake noch einmal überprüft sind. Dieser Empfehlung wollte sich die Fachkommission des Landes Schleswig-Holstein allerdings nicht anschließen. Beide Teilkommissionen waren sich dagegen darin einig, daß zusätzlich Messungen gemacht werden sollten, um die Befunde von Schmitz- Feuerhake zu überprüfen und dabei die Frage zu klären, „woher die Transurane im Hausstaub stammen“. Insbesondere sei zu klären, „ob die beobachteten Kontaminationen im Hausstaub durch Emissionen des Kernkraftwerks Krümmel oder durch Atombomben-Fallout verursacht“ wurden.