: Kritik des guten Nationalismus
Ob in Irland, Palästina, Kurdistan oder dem Baskenland: Vom Kampf für die nationale Befreiung hatten die bundesdeutschen Linken immer eine hohe Meinung. In dieser Art von Solidarität waren Kompromisse nicht vorgesehen. In Oslo wird am 10.Dezember zwei nordirischen Politikern der Friedensnobelpreis verliehen. Es ist eine Auszeichnung für Versöhnung und gegenseitigen Respekt. Und zugleich ein Lob der Diplomatie. Ein Essay ■ von Kersten Knipp
Anzüge und Hemden werden zweifellos akkurat gebügelt sein, die Krawatten mit Bedacht ausgewählt. Denn der Anlaß für den feinen Auftritt ist ein wichtiger Einschnitt in der Geschichte Nordirlands: Katholik John Hume und Protestant David Trimble nehmen am 10. Dezember in Oslo den Friedensnobelpreis entgegen. Gewürdigt werden zwei führende Politiker Ulsters, die ihrem Land womöglich Frieden bringen.
Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Besser jedenfalls als 1977. Auch damals ging der Preis nach Nordirland, an Betty Williams und Mairead Corrigan, die Gründerinnen der Bewegung „International Peace People“. Doch was Friedlichkeit angeht, ist die Atlantikinsel ein harter Brocken. Hume und Trimble, beides Hardliner ihrer politischen Gruppierungen, sind mit hartnäckiger Diplomatie und ihrer Glaubwürdigkeit als Hardliner weiter gekommen als alle anderen vor ihnen. Der Nationalistensprecher Hume und der Unionistenführer Trimble konnten vor diesem Hintergrund gegen alte, aber trotzig verfochtene nationalistische Stereotypen, gegen politischen und religiösen Fanatismus anrennen.
Nicht nur für Nordirland könnte 1998 ein entscheidendes Jahr werden. Auch andernorts kommt Bewegung in festgefahrene Konflikte um ethnische Selbstbestimmung und Minderheitenrechte. Das Wye- Abkommen ist ein weiterer Schritt im israelisch-palästinensischen Friedensprozeß; die Verhaftung des PKK-Führers Abdullah Öcalan in Rom dürfte zu neuen, vermutlich besonneneren Verhandlungen im Streit um Kurdistan führen; im Baskenland läßt die Waffenstillstandserklärung der ETA vom September auf ein Ende des separatistischen Terrors hoffen.
Anlaß zu vorsichtigem Optimismus besteht. In der traditionellen Linken der Bundesrepublik haben derlei Kompromisse bislang nur selten Beifall gefunden oder Freude ausgelöst. Die Unterdrücker – ob in Nordirland oder anderswo – schienen und scheinen stets zu glimpflich davongekommen. Hiesigen Internationalisten ging es meist ums Ganze (“Weltrevolution“) – und darum, recht zu behalten (“Antiimperialismus“). Auch und gerade wenn in Ulster die Konflikte beigelegt werden konnten, ist es nötig, Rückschau zu halten – auf die Geschichte der Befreiungsbewegungen und auf die Art und Weise, wie von Deutschland aus Solidarität mit ihnen geübt wurde.
Auffällig ist, daß der Kampf um den eigenen Boden, wo immer auf der Welt er stattfand, in Deutschland die Emotionen besonders schürte. Darüber hinaus kam der Terminus „bedrohte Minderheit“ einem Zauberwort gleich. Eines, das die pazifistisch gestimmte Seele so recht zum Klingen brachte, sie einlud, ihre unerschöpflichen Liebesressourcen über die ganze Erde zu gießen.
„Wir haben sie so geliebt, die Revolution“ – der Titel von Daniel Cohn-Bendits Erinnerungen an das Jahr 1968 beschreibt das Empfinden vieler engagierter Linken nachhaltig: Protest und Guerilla als Lebensgefühl, Solidarität als inneres Fest. „Alles, was sich in der Welt ereignete“, erinnert sich der mittlerweise zum Europaabgeordneten der Grünen avancierte Politiker, „wurde im Licht der eigenen, gelebten Erfahrungen interpretiert.“
Mit dem roten Dany und seiner Pflasterstrandguerilla an der Spitze entwickelte sich die deutsche Linke zum Zentralrat des weltweiten Aufstands und zur global operierenden Schaltzentrale des anti- imperialistischen, –faschistischen sowie –kapitalistischen Widerstands. Dank deutscher Hilfe fand der Weltgeist endlich zu sich selbst. In der Revolution fanden die Linken ihre Identität – die politische und oft auch die psychologische.
Ohne Frage: Minderheiten sind oftmals Opfer von Völkermord und Vertreibung. Viele ihrer Ansprüche waren und sind völkerrechtlich unstrittig. Doch erst als ihre Forderungen in sozialistische Rhetorik gehüllt wurden, gewannen sie die Herzen der deutschen Protestsolidargemeinschaft. Obwohl die weniger strahlenden Aspekte minoritärer Selbstbestimmung sich kaum leugnen ließen: „Ohne die Auseinandersetzung mit den für Zentren und Peripherie gleichermaßen bedeutsamen Mechanismen des neoliberal reaktivierten Kapitalismus und seinen Fraktionierungswirkungen“, so noch 1995 der Politologe Dieter Plehwe, „lassen sich keine Voraussetzungen für politische Projekte schaffen, in deren Rahmen kulturelle Vielfalt sich nicht als rassistische, sexistische und chauvinistische Konkurrenz artikuliert.“
Lassen wir die These, schauen wir auf die Sprache. Wer spricht hier eigentlich? Ein politischer Mensch? Oder ein Liebhaber akademischer Gesänge? Linke haben stets Angst vor direkter Alltagssprache gehabt. Sie wollten keine „bürgerlichen Leerformeln“ verwenden, nicht menscheln – weil dies der Erkenntnis zuwiderläuft. Auf jeden Fall klingen diese Topoi aus dem sozialistischen Programm immer erhaben. Kein Wunder also, daß Minderheiten sich dieser Töne gern bedienten.
Dabei pflegten viele Minderheitsbewegungen ursprünglich eine ganz andere Sprache. Religiös klang sie oft, und nationalistisch. Für Patrick Pearse etwa, Führer der irischen Nationalisten im Osteraufstand von 1916, war Patriotismus ein „Glaube, der von der gleichen Natur wie der religiöse ist“. Und wie Gläubige hören auch Nationalisten die Stimmen von Engeln und Geistern. „Es gibt nur einen Weg, Geister zu besänftigen“, schrieb Pearse am Vorabend des Osteraufstandes, „du mußt die Dinge tun, die er von Dir verlangt. Die Geister der Nation verlangen manchmal sehr große Dinge; und die müssen befriedigt werden, egal, was es kostet.“
Egal, was es kostet: „Im Namen Gottes und der verstorbenen Generation“ rief Pearse am Ostermontag 1916 die irische Republik aus. Der Aufstand scheiterte, Pearse wurde von den Engländern hingerichtet. 1919 entstand die IRA. Pearse' Rhetorik pflegt sie seit langem nicht mehr.
Doch der Glaube an die gerechte Sache blieb. Die Jahrhunderte anhaltende Besetzung der Insel war ein Unrecht, ebenso die Diskriminierung der Katholiken. Die Behandlung verhafteter IRA-Aktivisten in den siebziger und frühen achtziger Jahren sprach allen rechtsstaatlichen Prinzipien hohn. Und gegen welche chauvinistischen Landsleute die nordirischen Katholiken sich zu behaupten haben, zeigen die alljährlichen Aufmärsche des protestantischen Oranierordens. Die Bierbäuche, die Flöten, Trommeln und Fahnen verkörpern Stumpfsinn und Aggressivität. Und doch: Der Terror, den die Kämpfer der IRA seit den späten sechziger Jahren entfalteten, war nicht minder trostlos.
Daß er trotzdem legendär wurde, verdankt er seiner linken Aura. In der Sprache der Linken ließen sich die Probleme der unterdrückten katholischen Minderheit am besten artikulieren. Doch zugleich sublimierte sie den Terrorismus. Daß der den IRA-Kämpfern oft zum Selbstzweck wurde, übersah die deutsche Linke. Der ehemalige IRA-Terrorist Eamon Collins, der 1997 seine Biographie veröffentlichte, appelliert darin an beide Gruppen, Verständnis für Ideologie und Kultur des je anderen zu entwickeln. „Wenn sie genau genug hinschauen, werden sie Widerspiegelungen ihrer selbst entdecken.“
Seitdem sich solche Worte häufen, haben die Extremisten Nachwuchssorgen. Nicht einmal das revolutionäre Sprachgewand mobilisiert noch. „Wir haben“, sagt der junge Schriftsteller Mc Liam Wilson, selbst Abkömmling einer katholischen Familie aus Belfast, „die Sprache der Civil Right Movements geklaut, aus Amerika wie aus Südafrika. Wir sprechen von Apartheid, aber wir leben in einem Land, in dem wir alle wählen dürfen, alle. Die Katholiken haben den Dreh besonders gut raus, die tatsächlichen Diskriminierungen in eine Sprache zu kleiden, die irgendwie progressiv und links erscheint.“
Trotzdem: Extremisten werden bleiben, auf beiden Seiten. Es kann ja auch kaum anders sein. Zu verführerisch ist das Bild der wiedergeborenen Nation. Schließlich gehört das pfingstliche Motiv von der Wiederauferstehung nach dem Untergang zum Kern jeder Minoritätenmythologie.
Der französische jüdische Philosoph Alain Finkielkraut hat diese Psychologie des Verlusts in seinem 1981 erschienenen, biographisch geprägten Buch „Le juif imaginaire“ (“Der imaginäre Jude“) einfühlsam beschrieben. Finkielkraut, 1949 und damit nach den Verbrechen der Nazis geboren, fühlt sich von der Vernichtung der europäischen Juden persönlich nicht traumatisiert. Aufgewachsen in den geordneten französischen Verhältnissen der Nachkriegszeit, ist jüdische Identität für ihn nicht gleichbedeutend mit der der Shoa.
So sehr er den Holocaust nachempfindet: Er fühlt nicht unmittelbaren Schmerz, keine existentielle Betroffenheit. Die Tragödie wird für ihn zum Tragödienspiel. „Trotz aller Anstrengungen trug ich nicht wirkliche Trauer um meine vernichtete Familie, sondern bloß deren Embleme: Ich erzählte anderen die Geschichte meiner von der Endlösung betroffenen Familie, und mein Gesprächspartner, gepackt von einer Mischung aus Bestürzung, Scham und Respekt, sah in mir etwas anderes als ich selbst: das Antlitz der Hingerichteten. Ich beeindruckte mein Publikum. Andere hatten gelitten, und ich, als ihr Nachkomme, zog moralischen Nutzen daraus.“
Wie ihm geht es vielen seiner Generation. „Diese jungen hypnotisierten Menschen nutzen die Identifikation: Sie haben sich im Kerker der Fabel eingerichtet; das Judentum, das sie beanspruchen, verzaubert sie und trägt sie auf magische Art auf eine Bühne, die sie erhöht und sie opfert. Ich schlage vor, diese Bewohner des Irrealen, die zahlreicher sind, als man glaubt, imaginäre Juden zu nennen.“
Imaginäre Juden, imaginäres Israel. Auch der israelische Schriftsteller Amos Oz kennt diese Befindlichkeit von seinem Großvater. Anfang der dreißiger Jahre war er nach Israel geflohen. Doch in der Hektik des Orients wurde Oz' Großvater nie heimisch. Zum Ausgleich schrieb er Gedichte an ein phantastisches Jerusalem, bevölkert von himmlischen Heerscharen.
Er zeichne doch ein sehr unrealistisches Bild von Jerusalem, wirft ihm sein Enkel Amos vor. Der Großvater reagiert gereizt: „Was zum Teufel weißt du über das echte Jerusalem? Das echte Jerusalem ist das meiner Gedichte.“ Doch Enkel Amos weiß es besser. Solange Israelis und Palästinenser einen erbitterten „Immobilienstreit“ (Oz) führen, wird es mit dem himmlischen Frieden nichts.
Auf kein anderes Land richten sich so viele Wünsche, Hoffnungen und Projektionen. Doch in ihrer Urform werden sie sich kaum erfüllen: „Die einzige Möglichkeit“, meint Amos Oz, „einen Traum unberührt und unverdorben zu belassen, ist, ihn niemals verwirklichen zu wollen.“
Die deutsche Linke hätte sich dies gesagt sein lassen sollen. Wie in Frankreich herrschte auch in Deutschland in den Sechzigern eine ausgeprägte Bereitschaft zur Solidarität mit den Geknechteten, gesteigert noch durch das Bewußtsein, zu jenem Volk zu gehören, das den Holocaust verantwortet. Um so empörter war die deutsche Linke zunächst über die zögerliche Israelpolitik der BRD, die sich lange nicht zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen zum jüdischen Staat durchringen konnte.
Als es 1965 endlich soweit war, sah sich die Linke in ihrer oppositionellen Identität erschüttert. Also wandte sie sich nun den unterdrückten Palästinensern zu. Spätestens seit dem Sechstagekrieg galt der hiesigen Linken Israel als „Brückenkopf des US-Imperialismus in Arabien“, wie Martin W. Klocke in einem Aufsatz zum „Palästinenserbild in der deutschen Linkspresse“ schreibt.
Immer mehr Linke sahen in den Kämpfern der 1964 gegründeten PLO die lange erwarteten „Subjekte weltweiter Emanzipationsprozesse“. Sie entwickelten eine antizionistische Haltung, die sich letztlich auch mit dem PLO-Aufruf zur Vernichtung Israels einverstanden erklärte. 1976 entführte ein deutsch-palästinensisches Kommando eine französische Zivilmaschine. Im Laufe der Terroraktion scheute sich der deutsche Terrorist Wilfried Böse nicht, die israelischen Passagiere von den übrigen zu selektieren. Zu einem Aufschrei seitens der Linken führte diese Neuauflage antisemitischer Selektionspraxis aber keineswegs. Ungerührt sprach man weiterhin vom „nationalsozialistischen Zionismus“ und dem „faschistischen Regime der Zionisten“. Der damalige Grüne Jürgen Reents bezeichnete 1984 die Palästinenser als „Opfer der (Nazi-)Opfer“.
Um Solidarität mit den palästinensischen Flüchtlingen dürfte es nur vordergründig gegangen sein. Eher waren die antiisraelischen Attacken wohl ein mißlungener Versuch der Vergangenheitsbewältigung. „Wollte man dadurch“, schrieb Joschka Fischer 1994, „den Beweis antreten, daß man seine deutsche Identität und Erbschaft zugunsten einer linken und internationalistischen Identität hinter sich gelassen hat? Daß man sich damit also von dem erdrückenden Gefühl der deutschen Schuld am Holocaust befreit hatte?“
Gegen die Menschenrechtsverletzungen hat sich in Israel selbst 1978 die „Peace Now“-Bewegung gebildet. Sie versteht sich als Friedensbewegung, doch nicht als pazifistisch. Weil es ihr auch, ganz konkret, um das Überleben des jüdischen States geht und nicht nur um die Vision einer friedlichen Welt, meint Amos Oz, einer der prominentesten Peace-Now-Aktivisten, muß sie realistisch und pragmatisch sein. Sie unterscheide sich deshalb gründlich von jener „sentimentalen Linken, der ziemlich simplifizierenden Linken, den Tauben in einigen Teilen der Friedensbewegung im Westen, in der Friede und Liebe und Mitgefühl und Brüderlichkeit und Versöhnung Synonyme sind.“
Offensichtlich kannte Amos Oz nur ungenügend die deutsche Linke, die den Kampf gegen die Unterdrückung mit Waffengewalt – zum Beispiel in El Salvador – durchaus nicht scheute.
Die Linke sympathisiert zu Recht mit dem Kampf gegen die Vertreibung der Palästinenser. Sie darin zu unterstützen muß nicht antiisraelisch sein. Doch wäre eine weniger polarisiernde Rolle, die keiner Seite das Existenzrecht abspricht, nicht angemessener gewesen? Und: Ist Solidarität überhaupt das wahre Motiv? Tritt hier nicht auch der germanische Mythos vom verlorenen Boden, diesmal in linker Gewandung, wieder zutage?
So ausgeprägt die Skepsis
vieler Deutscher nach dem Zweiten Weltkrieg gegenüber allem Ethnischen, sprich „Völkischen“, in eigener Sache war, so ungehemmt lebten sich derartige Energien zum Beispiel im Engagement für die palästinensische Sache aus. Nicht weniger rabiat als jüdische Siedler forderten viele Linke „Raum“ für das staatenlose palästinensische Volk.
Vielleicht ist es der Traum von der unverfälschten, nicht-entfremdeten Existenz, der sie antreibt, Grenzen zu fordern. Wunderbar deutlich manifestiert sich dieser hochromantische Sinn für unverfälschte Natürlichkeit in der Kurdistan-Solidaritätsbewegung. Die Kurden, schrieb 1995 eine Mitarbeiterin des „AK Kurdistan des AStA Uni Bremen“, „beharren auf ihren eigenen kulturellen Ausdrucksformen, ihren traditionellen sozialen Zusammenhängen, der Thematisierung ihrer eigenen Unterdrückung, Geschichte und Utopie.“
„Eigen“, „traditionell“, „Geschichte und Utopie“: Kurdistan, das Paradies der Ursprünglichkeit, Heimstatt des Schönen, Wahren, Guten. Auch politische Hoffnungen keimten. Sozialistische Hoffnungen hatte man in Deutschland schon viele Jahre fahrenlassen müssen. Würde wenigstens die PKK sie in Kurdistan realisieren können? Jagte Andrea Wolf, die kürzlich erschossene deutsche PKK-Sympathisantin, im Gebirge des Ararats diesem Traum hinterher? Gleichviel, er wäre ohnehin zerstoben: Die Kurden werden von mehreren Staaten zugleich bedroht – an der „Front“ wird ihr Kampf nicht gewonnen.
Die Kurden werden unterdrückt, kein Zweifel. Die Basken hingegen wähnen sich unterdrückt. ETA – „Baskenland und Freiheit“: Der Name ist Programm. Doch das Baskenland ist seit mehr als zwanzig Jahren demokratisch, wie ganz Spanien. Zu dieser Freiheit hat die ETA durch antifrankistische Attentate beigetragen. Aus diesen Aktionen schöpfte die Organisation Ruhm, zumal sie sich als Propagandistin eines menschlichen Sozialismus empfahl.
Nicht ganz zu Recht: „ETA“, erzählt der ehemalige Aktivist und jetzige Vizebürgermeister von Bilbao, Eduardo Uriarte, „entstand aus dem traditionellen baskischen Nationalismus und hatte sogar typisch faschistische Elemente. Wir aber standen einem Gegner mit viel schlimmeren faschistischen Zügen gegenüber und sahen deshalb unsere eigenen nicht.“
Diese ideologische Ambivalenz beflügelt den baskischen Nationalismus bis heute; auf der politischen Klaviatur spielen die Separatisten gerne mehrstimmig. Eine „beständige Fluktuation zwischen einer ethnisch-patriotischen und einer ethnisch-sozialistischen Rhetorik“ beobachtet der baskische Anthropologe Mikel Azurmendi im separatistischen Diskurs.
Wieder und wieder begeisterte die Linke sich für das Pathos der Revolution. Doch selbstlos war man nie. In Mittelamerika nahm der Wirbelsturm „Mitch“ kürzlich gleich mehrere Länder auseinander. Doch die Linken halten sich bedeckt, vor allem ihren Geldbeutel. Die Verursacher der Verwüstung müssen schon Somoza oder Noriega heißen, um Solidarität auszulösen – darunter läuft gar nichts.
Wie man die Solidarität mit den Unterdrückten und Gepeinigten dieser Welt auch dreht und wendet, eines ist gewiß: Separatismus bedeutet immer auch Nationalismus. Es geht nie um die Befreiung der großen weiten Welt, sondern einzig um die der eigenen Gruppe. Gelingt eine völkerrechtlich sanktionierte ethnische Selbstverwirklichung, wie in Israel, wird ihr Erfolg als Nationalismus oder gar Rassismus scharf verurteilt.
Der Grund ist traurig: Die Linken lieben nicht die Menschen, sondern die Ideen. Weshalb sie den Minderheitenprotest im Licht der eigenen Ideologie deuten. Idealisierung könnte man das nennen. Oder: Instrumentalisierung, ohne Rücksicht auf Verluste.
Kersten Knipp, 32, freier Journalist u.a. für die taz, die Neue Gesellschaft / Frankfurter Hefte und den Deutschlandfunk. Er lebt in Köln
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen