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Malerisch exhibitionistisch

■ Traumhafte Gegenbilder: Carmen Obersts Fotomanipulationen

Bilder, besonders fotografische, werden meist wie ein Blick aus dem Fenster zur Welt gesehen. Dabei liegt ihr Geheimnis oft in den Schichten der Oberfläche. Die wird heute meist in Standardprozessen von Industrielaboren und Computerdruckern erzeugt. Doch es ist nur etwas mehr als ein Jahrhundert her, daß sie in alchemistisch geheimnisvollen Bilderküchen entstanden – und diese Zeit lebt bei wenigen Kunstfotografen noch heute fort.

Das Museum für Kunst und Gewerbe bietet beidem Platz: Die besten Fotos aus 50 Jahren „Stern“ werden parallel zu den wundersamen Bildmanipulationen der Carmen Oberst gezeigt. „Malerisch-exhibitionistische Photographie“ nennt die Hamburgerin ihre mehrschichtigen Bildverwandlungen. Foto ist für sie zweifach Bühne: Am Anfang steht die Inszenierung vor der Kamera mit Rollenwechseln und theatralischen Tricks. Dann kommt das Privattheater der Dunkelkammer: Das Negativ kommt auf die „Bühne“ des Vergrößerers, und die individuelle Bildwerdung beginnt.

Unter Einsatz von Doppelbelichtungen, Schwefeltonern und diverser anderer Chemie verändert Carmen Oberst den Standardprozeß der Bildwerdung mit Schwämmen, Bürsten, Pinseln und den Händen. So entstehen in Handarbeit traumhafte Gegenbilder der sich sonst so objektiv gebärdenden Fotografie, deren rotbraune Farbigkeit und collagenhafte Überlagerungen fast vergessen machen, daß sie einem Fotoprozess entstammen.

„Ich bin keine Fotografin, allenfalls Fotokünstlerin und bestenfalls Malerin“, versucht Carmen Oberst eine Positionsbestimmung. Genauen Einordnungen stellt Carmen Oberst Vielfalt entgegen: Sie vermittelt ihre Ansätze auch in Kursen, internationalen Postkartenaktionen und einer eigenen Galerie in Ottensen. Und indem die Künstlerin nach und nach für ihre Bilder ihr ganzes kostbares Negativmaterial zerschneidet und umsetzt, hält sie ihr Erinnerungsarchiv in ständiger Revolte. Statt Leben in statischen Bildfriedhöfen zu begraben, erzeugt sie einen Bildraum voller möglicher Wandlungen, in den auch die Betrachter eingeladen sind. Hajo Schiff

Museum für Kunst und Gewerbe, bis 10. Januar 1999

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