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Gott und die Welt

Die traditionellen Kirchengemeinden schrumpfen. Mit ihnen schrumpft der Glaube. Gott gerät in Vergessenheit. Im Kinder- und Jugendbuch erlebt nach der Philosophie jetzt die Religion eine Renaissance  ■ Von Gabi Trinkaus

Als Unterrichtsfach ist die Religion mancherorts abgeschafft, als Kult ist sie fast vergessen, zur Weihnachtszeit wird sie gefeiert in Häusern mit spitzen Türmen, die man Kirchen nennt. Es sind die Museen einer alten Geschichte. Knochen und Mumien, Bilder und Statuen sind die Zeugen von Mord und Totschlag, Siegen und Niederlagen. Nachzulesen ist alles in der Bibel. Doch das Buch der Bücher gerät in Vergessenheit. Eltern, die sich vom drohenden Gott ihrer Kindheit befreit haben, verschweigen es ihren Kindern.

Wie hältst du's mit der Religion?

Und trotzdem wird jedes Kind irgendwann fragen: „Papa, glaubst du an Gott?“ Und Papa wird wütend werden, weil dieser Quatsch jetzt doch angekommen ist. „Nein“, wird er brüllen, „alles eine Erfindung der Reichen, damit die Armen ruhig sind und sich ausbeuten lassen! Dafür wird ihnen das Paradies versprochen. Sonst wären sie vielleicht für die Revolution.“ Sinngemäß stammt dieser Dialog aus „Ich, Gott und Onkel Frederic“. Christoph erzählt mit ironischem Blick auf die Welt der Erwachsenen von seiner Suche nach einem Sachverständigen, der klipp und klar sagt: „Gott lebt.“ Der Vater zeigt eindeutig mit dem Daumen nach unten, Mama sagt „jein“, und die Großmutter ist sich ganz sicher, weiß aber nicht, warum. Von ihr lernt Christoph das Kreuzzeichen. Damit beginnt er seine Gespräche mit Gott. Seine kniend dargebotenen Abendgebete sind die familiäre Sensation. Gemachte Hausaufgaben hätten alle besser gefunden. Trotz der Gebete bleiben Erfolgserlebnisse aus. Das Schulzeugnis ist wieder miserabel, der Deal mit Gott enttäuschend. Er ist schon bereit, seine Einsamkeit im Urknall zu akzeptieren, da übernimmt der Großvater die Sache.

Als ehemaliger Klosterschüler weiß er: Beten statt lernen funktioniert nicht. Beten und lernen heißt der Zauberspruch. Er preist den Hausheiligen an. Doch Christoph gibt auf. Funkstille zwischen ihm und Gott. Ausgerechnet ein Schulaufsatz bringt wieder Bewegung in die Sache. Die Begegnung mit einem Außerirdischen soll beschrieben werden. Christoph erfindet die Bruchlandung eines Engels auf dem Teppichboden, und dann erzählt er ihm von seinen Versuchen, die Wahrheit über Gott zu finden. Doch die Erleuchtung fällt nicht vom Himmel. Dafür kommt Onkel Frederic, gottlos und flippig. Er nimmt seinen Neffen an die Hand und ab geht es in die Bibliothek. Da sind alle Sorten von Gott zu finden. Christoph beschließt, sich auf die bekanntesten zu beschränken, schließlich sollen die Kinder seiner Klasse ihren Gott wiederfinden. Die Sache wird ein großer Erfolg. Doch ob es Gott nun gibt oder nicht, weiß Christoph immer noch nicht.

Marie Desplechin: „Ich, Gott und Onkel Frederic“. Ab 9 Jahre, Arena Verlag, 19,80 DM

Immer schön locker bleiben

Einen ähnlich unverkrampften Umgang mit der ältesten Frage der Menschheit finden wir in „Theos Reise“ wieder. Hier ist es eine Tante, feministisch, atheistisch, die ihren Neffen mit null Ahnung in Sachen Religion auf eine Weltreise zu allen Göttern der Welt entführt. Gott hin oder her, irgendwo in der Tiefe der Kulte muß der Schlüssel zu Theos Krankheit stecken, und außerdem sorgt die Krankheit für einen stabilen Spannungsbogen. Sicher kein Zufall, daß beide Bücher von Frauen geschrieben wurden und beide aus Frankreich kommen. Dort haben die Republikaner 1905 einen Bürgerkrieg riskiert, als sie die katholische Kirche vor die staatliche Tür setzten. Vorbei mit dem Pflichtfach Religion und mit der Vorherrschaft des Katholizismus.

Bestandsaufnahme religiöser Dummheiten

Kein Ort wäre dafür besser geeignet als Jerusalem, die erste Station der Reise. Zankapfel der Religionen, seit es sie gibt. Tempel werden aufgebaut und abgerissen. Das fängt schon im 8. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung mit König Salomons Tempel an, den die Römer endgültig zerstören, und hat einen seiner traurigen Höhepunkte am 10. Juli 1099. Kreuzritter zerstören die Moschee und die Synagoge und bringen Zehntausende Muslime und Juden um.

„Christen“, sagt Theo nur und sieht sich in allen Vorurteilen bestätigt. Auch den Gesprächen mit den drei lieben alten Herren, die die Vorzüge ihrer Religion preisen, steht er skeptisch gegenüber. Ist es wirklich wichtig, daß Ismael nicht der legitime Sohn Abrahams ist? Deshalb ist doch Isaak nicht der einzige Sohn Abrahams, wie es Juden und Christen gerne hätten. Sind deshalb die Muslime weniger wichtig? Und überhaupt, was ist das für ein Gott, der einen Vater auffordert, seinen Sohn zu opfern, und der selbst seinen eigenen Sohn opfert und nicht imstande ist, die drei Religionen zu versöhnen? Das einzig Gemeinsame, was den drei Religionen geblieben ist, ist die Betstätte am Grab Abrahams.

Unsinnig kompliziert das Ganze, findet Theo. Da wundert ihn gar nicht, daß der katholische Pater noch mehr Probleme aus dem Ärmel schüttelt. Mehrere christliche Kirchen, Byzanz und Rom, die Katholiken, die Evangelen. Theo reicht es: „Alles nur, um recht zu haben?“ Und die Tante kann es auch nicht lassen, auf den speziellen Handgriff nach der Papstwahl hinzuweisen, mit dem überprüft wird, ob der Papst nicht etwa eine Frau ist.

So ist das Buch bei aller Informationswut doch vergnüglich zu lesen. Die unkonventionelle Tante sorgt für einen freien Blick auf die vielen Religionen der Völker, und Theo legt erfrischend respektlos seine Finger auf deren Wunden. Warum das Ganze? Um Sektierern und Fundamentalisten den Wind aus den Segeln zu nehmen? Um die Gegenwart verstehen zu können? Den Balkankrieg, Algerien, Rußland, Israel? Immer spielt die Religion und ihr Kult eine wichtige Rolle.

Vielleicht ist die Zeit reif für den etwas anderen Religionsunterricht über die Geschichte der Religionen der Welt. „Keine darf vergessen werden“, fordert die Tante, und das hat sie auch nicht.

Catherine Clement: „Theos Reise. Roman über die Religionen der Welt“. Ab 13 Jahre, Hanser Verlag, 39,80 DM

Gott ist ein Chamäleon

Eine ähnliche Intention hat das kleine Buch „Felix reist zum Dach der Welt“. Mit seinem Vater und einem buddhistischen Mönch aus Tibet reist der neunjährige Felix nach Tibet. Leider ist Felix im klassischen Sinne wohlerzogen und stellt keine frechen Fragen. So wird es mehr eine schöne Reisebeschreibung mit religiösem Schwerpunkt. Kindgerecht werden die großen Religionen Asiens beschrieben. Neben den Fotos religiöser Stätten, von Göttern und Kindern bleibt auch noch Platz für Gebete und Geschichten und die wunderbare Absage an das Rechthaben. Gott ist ein Chamäleon: Für jeden, der ihn betrachtet, sieht er anders aus.

Hermann-Josef Frisch: „Felix reist zum Dach der Welt. Begegnung mit Hinduismus und Buddhismus“. Ab 9 Jahre, Patmos Verlag, 29,80 DM

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