: Unmut in Lukaschenkos Reich
Weißrußland leidet unter der schweren Wirtschaftskrise des großen Nachbarn. Daher versucht der Präsident, seine Fühler zum westlichen Feindesland wieder auszustrecken ■ Von Barbara Oertel
Kaum hatte sich in Weißrußland die Nachricht von der Preiserhöhung für Wodka herumgesprochen, stürmten die Menschen die Geschäfte. Doch mit Wut und Panik reagierte nicht nur die Bevölkerung. Auch der Zorn des weißrussischen Staatspräsidenten Alexander Lukaschenko kannte keine Grenzen. „Warum diskreditieren Sie das Land?“, herrschte er Premierminister Sergej Ling im Staatsfernsehen an. „Welchen Grund gab es, den Preis für Wodka zu verdoppeln? Wie sehr müssen Sie die Menschen hassen, um ihnen zuzumuten, in solch langen Schlangen zu stehen?“
Doch die Menschen müssen derzeit nicht nur nach Wodka anstehen. Mittlerweile sind auch Grundnahrungsmittel wie Butter, Margarine und Zucker wieder Mangelware. Die Wirtschaftskrise in Rußland, mit dem Minsk 80 Prozent seines Handels abwickelt, schlägt jetzt auch voll auf den kleinen Nachbarn durch. Viele Betriebe sind stillgelegt, andere haben die Produktion heruntergefahren, da die Zulieferungen aus Rußland unregelmäßig oder überhaupt nicht mehr erfolgen. Derzeit arbeitet die Regierung unter Hochdruck an Programmen zur Rationierung von Gas und Strom während der Wintermonate.
Doch Lukaschenko ficht das nicht an. Im Gegenteil: Ende Oktober holte er per Erlaß zu einem neuen Schlag gegen die ohnehin zahlenmäßig kleine Gruppe der Privatunternehmer aus. Die Firmen müssen sich jetzt noch einmal registrieren lassen. Überdies haftet jeder Unternehmer gegenüber seinem Gläubiger nicht nur für den eigentlichen Kredit, sondern mit seinem gesamten persönlichen Besitz und dem Besitz seiner Verwandten. „Das bedeutet faktisch die Liquidierung des Unternehmertums“, sagt der Vizepräsident des weißrussischen Unternehmerverbandes, Alexander Potupa.
Mittlerweile regt sich auch unter Lukaschenkos Landsleuten Unmut ob des wirtschaftlichen Desasters. Und so haben Führer von Gewerkschaften zu Demonstrationen und einem eintägigen Streik aufgerufen. Besonders die sich ständig verschlechternden Lebensbedingungen könnten Lukaschenko seinen Kredit bei der Bevölkerung kosten, die ihn mehrheitlich immer noch unterstützt. Und das, obwohl zwei Jahre nach dem Referendum, mit dem Lukaschenko die geltende Verfassung aushebelte und sich alle Vollmachten verschaffte, die Repression gegen Oppositionelle und Kritiker nicht nachgelassen hat.
Teilnehmer von Anti-Lukaschenko-Demonstrationen werden zusammengeschlagen und nicht selten verhaftet. Kaum eine Woche vergeht, ohne daß die Steuerfahndung bei den wenigen verbliebenen unabhängigen Zeitungen Razzien durchführt, die in der Regel mit der Verhängung von horrenden Geldstrafen und Verwarnungen endet. Mehrfach wurden in den letzten Monaten mißliebige Zeitungen per Gerichtsbeschluß verboten. Der oppositionellen juristischen Wochenzeitung Femida Nova wurde kürzlich unter Androhung des Lizenzentzuges untersagt, Gesetzestexte samt Kommentierungen abzudrucken. „Ich stehe jetzt vor der Entscheidung: entweder ich mache weiter und laufe Gefahr, vor Gericht gestellt zu werden, oder ich lasse mich zur Berichterstatterin über kulturelle Ereignisse degradieren“, sagt eine 23jährige Mitarbeiterin der Zeitung.
Damit junge Weißrussen gar nicht erst auf kritische Gedanken kommen, bedient sich Lukaschenko des vor anderthalb Jahren gegründeten Weißrussischen Patriotischen Jugendverbandes (BPSM). Die Organisation, die nach eigenen Angaben 140.000 Mitglieder im Alter von 14 bis 35 Jahren hat, hat sich die Verteidigung eines „sauberen“, „ordnungsliebenden“ Weißrußland unter dem „jungen Präsidenten Lukaschenko“ im Bund mit Rußland auf die Fahne geschrieben. Sie verfügt über Ableger in allen Schulen und Instituten. Der BPSM sitzt in den Kommissionen, die über die Aufnahme von Studenten an die Institute entscheiden, kontrolliert die Zimmerverteilung in Studentenheimen und die Vergabe von Stipendien. Und wo es darum geht, Regimekritiker, bevorzugt nach Demonstrationen, zu verprügeln, stehen BPSM-Mitglieder allzuoft in vorderster Front.
„Willkür und Menschenrechtsverletzungen triumphieren heute im Land. Die Menschen sind dermaßen verunsichert, daß sie sich Gedanken darüber machen, wie lange sie überhaupt noch am Leben bleiben werden. Es ist noch nie gelungen, ein diktatorisches Regime zu demokratisieren. Man kann es nur stürzen. Und dazu braucht es Gewalt“, heißt es in einem Artikel des früheren Parlamentspräsidenten und Lukaschenko-Kritikers Semjon Scharetzkij, den Vertraute unlängst in den Westen schmuggelten.
Dort haben die Verantwortlichen dem Diktator, der keine Möglichkeit ausläßt, westliche Verschwörungen anzuprangern, mittlerweile den Rücken gekehrt. Das im März 1995 von der Europäischen Union (EU) mit Minsk geschlossene Partnerschafts- und Kooperationsabkommen liegt in Brüssel immer noch auf Eis. Auch eine OSZE-Mission, die zwischen Regierung und Opposition im Konflikt um die Verfassung und den Termin für die nächsten Präsidentenwahlen vermitteln sollte, wurde nach einigen Monaten ergebnislos abgebrochen.
Doch nicht zuletzt die desolate Wirtschaftslage ist es, die Lukaschenko nunmehr zwingt, seine Fühler in Richtung Feindesland auszustrecken. So versprach er Anfang des Monats den Botschaftern der EU, der USA und Japans, die er im vergangenen Juli erst aus ihren Residenzen und dann aus dem Land gegrault hatte, neue Diplomatenunterkünfte. Nach einer unterkühlten Reaktion aus Washington bedauerte Lukaschenko in einem Brief an US-Präsident Bill Clinton die „gravierenden Fehler“ seines Landes im Umgang mit dem Westen, wie die FAZ berichtete. Doch Pläne für eine baldige Rückkehr des US-Botschafters gibt es derzeit noch nicht.
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