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Hauptstadt privatisiert

■ Das neue Online-Stadtinformationssystem von Berlin soll mit Werbung finanziert werden

Wer heute noch die Adresse „www.berlin.de“ eintippt, landet in der alten Hauptstadt der DDR. Trübes Blau füllt den Bildschirm, darauf sind in preußischer Schlachtordnung ein paar Bildchen aufgereiht. Zwar scheinen sie bei näherer Betrachtung den ersten realsozialistischen Eindruck zu widerlegen. Sie zeigen unter anderem die Gedächtniskirche und muntere Spreedampfer auf Westkurs. Aber schon der nächste Mausklick führt in die systemübergreifende Ödnis von Klarsichthüllen und Geschäfstverteilungsplänen, geliefert aus den hinteren Reihen der Stadtverwaltung.

Am 8. Dezember soll sich dieses Bild gründlich ändern. Zumindest verspricht das „Primus Online Berlin-Brandenburg“, ein Joint- venture der DaimlerChrysler- Tochter debis mit „Primus Online“, einem Unternehmen der Metro-Gruppe in Köln. Berlin hat seinen Webaufritt privatisiert, aus purem Geldmangel zunächst, womöglich aber auch aus Einsicht in die fehlende Eigenkompetenz. Der Senat schrieb den Millionenauftrag pflichtgemäß europaweit aus. Kenner des Berliner Filzes wunderten sich aber kaum noch, daß im August dann doch debis den Zuschlag erhielt – debis hatte schon mit einem Baugrundstück am Potsdamer Platz ein Filetstück zu einem Preis zugeschoben bekommen, der schließlich die EU- Behörden auf den Plan rief.

Das neue, nunmehr rein digitale Filetstück besteht in der kostenlosen Überlassung der prominenten Webadresse, die vorerst das einzige Pfund ist, mit dem debis und Metro wuchern können. Denn das Land bezahlt für die Gestaltung seiner Homepage kein Geld, der private Betreiber will das Projekt durch „Ecommerce“ und Werbung finanzieren.

Für das erste Geschäftsjahr sei ein Etat in „zweistelliger Millionenhöhe“ eingestellt, sagt ein Firmensprecher. Eigentlich war der Start der neuen Berlinseite schon für den Oktober geplant. Aber die richtige Anfangsmischung von Amt und Geschäft verzögerte sich. Die Informationen aus der Berliner Stadtverwaltung, Pressemitteilungen, Senatsprotokolle etwa oder auch die Öffnungszeiten der Stadtbüchereien, bilden nur noch einen kleinen Teil des Angebots. Ohnehin ist damit kein Groschen zu verdienen, denn der Vertrag mit dem Senat verbietet es, auf den Landesseiten Werbung zu schalten.

Die Einnahmen müssen aus der Berliner Wirtschaft kommen, der Metro und debis mit der exklusiven Domain eine Dachadresse zur Verfügung stellen. Man hofft, vor allem kleine und mittelständische Betriebe gewinnen zu können, die sich kein eigenes Internetangebot leisten können. Der CD-Händler an der nächsten Straßenecke soll hier ebenso seine digitale Filiale einrichten können wie der Kreuzberger Bioladen.

Zum Start in der nächsten Woche werden unter anderem Nachrichten vom Berliner Tagesspiegel und ein Angebot für Online-Shopping und andere private Dienstleistungen zu finden sein. Aber auch die Stadtverwaltung will nicht mehr nur Termine aushängen. Sie will interaktiv werden. In der Planung ist etwa die Möglichkeit, den Personalausweis online zu erneuern. Doch ohne eine kleine Hilfe aus der Privatwirschaft geht es auch hier nicht. Wer online ein neue Hundemarke ordern will, braucht dafür ein Online-Konto bei der Berliner Volksbank.

Selbstverständlich kümmern sich debis und Metro aber auch um den Netzzugang ihrer Kunden. Für 19,99 Mark im Monat oder 199 Mark im Jahr kann eine E-MailAdresse und ein bißchen Speicherplatz für die private Homepage erworben werden. Wer mit vollem Namen auch im Internet in „berlin.de“ wohnen möchte, möge sich beeilen, empfiehlt der Webmaster – jeder Vor- und Nachname für diese Rechneradresse könne nur einmal vergeben werden.

Und selbst Netzmuffel und Touristen sollen nicht leer ausgehen. Im gesamten Stadtgebiet werden Informationssäulen aufgestellt, an denen die Stadtinformationen kostenlos abgerufen werden können. Einige sollen in Zusammenarbeit mit Coca-Cola betrieben werden und gleichzeitig als Getränkeautomat dienen, andere werden mit einem Telefon gekoppelt. Alle Terminals sollen zudem mit Ticketdruckern und Kartenlesern ausgestattet werden.

An derart groß angelegten Stadtinformationsnetzen haben sich freilich schon andere die Zähne ausgebissen: 1996 der Springer-Verlag mit „Go-On“ für Berlin und Hamburg und zur selben Zeit für das Ruhrgebiet die WAZ-Gruppe mit „Cityweb“. Beide sind gescheitert. „Cityweb“ ist nur noch eine regionale Suchmaschine, und von „Go-On“ sind nur die Links zu den Springer-Zeitungen übriggeblieben. Aber die Aussicht, ein Internetangebot einzurichten, ohne dafür bezahlen zu müssen, reizt inzwischen auch andere Bundesländer. Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein wollen ihre Website ebenfalls in „public-private partnership“ neu organisieren. Schleswig-Holstein hat den Auftrag sogar schon vergeben: an debis. tlb, taz

brief@taz.de

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