■ Die Anderen: Das "Neue Deutschland" (Berlin), "Der Tagesspiegel" (Berlin), "L'Est Republicain" (Nancy) und "Le Telegramme" (Morlaix) zum deutsch-französischen Gipfel
Das „Neue Deutschland“ lobt verhalten den deutsch- französischen Gipfel: In einer rosarot gefärbten EU könnten die Ideen eines Beschäftigungspaktes statt neoliberaler Stabilitätsfixierung, sozialer Mindeststandards und einer weitreichenden institutionellen Reform der Europäischen Union auf fruchtbaren Boden fallen. Doch sollte man nach dem überaus holprigen rot-grünen Start in Bonn die Möglichkeiten europäischer Koordinierung auch nicht überschätzen. Ansonsten wich man in Potsdam diversen Streitpunkten erst einmal mit vagen Formulierungen aus. Nach diesem Schnuppergipfel ist also vieles zu tun, damit es von den neuen Verheißungen am Ende nicht heißt: „Vom Winde verweht“.
„Der Tagesspiegel“ meint zu den deutsch-französischen Perspektiven: Es ist wahr, daß der Gipfel in der Frage der EU-Finanzierung, in der tatsächlich ein Dissens zwischen den beiden Akteuren des vielbeschworenen Euro-Tandems vorliegt, keine echte Annäherung gebracht hat. Aber gemessen an der Hartnäckigkeit, mit der die Regierung Kohl den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit stets als ein rein nationales Problem begriffen hat, stellt das Potsdamer Treffen schon einen Kurswechsel in der deutschen Europapolitik dar. Die gemeinsame Forderung, künftig die soziale Komponente Europas zu betonen, wird zunächst einmal jene beruhigen, die dem Start des Euro mit bangem Herzen entgegensehen.
„L'Est Republicain“ aus Nancy äußert sich kritisch: Was ist ein gelungener Gipfel? Einer, bei dem die Partner eine Schlußerklärung unterzeichnen, die Unstimmigkeiten verschleiert und Einstimmigkeiten hervorhebt. Die deutsch-französische Schlußerklärung enthält natürlich Zeichen der Harmonie. Das gilt für die Konvergenzen in Sachen europäische Verteidigung oder für die Ziele der Agenda 2000. Aber unter dem Honig der Worte bleibt die Säure gegensätzlicher Standpunkte bestehen. Beispiel ist die gemeinsame Argrarpolitik, deren Finanzierung aus deutscher Sicht zu teuer ist. Da waren die Gespräche nicht überzeugend. Ein Beweis dafür, daß sich hinter Ergüssen der Herzlichkeit stets Dornen verbergen.
Die Tageszeitung „Le Telegramme“ aus Morlaix meint zur Entwicklung der Beziehungen zwischen Bonn und Paris: Die deutsch-französischen Beziehungen haben sich seit dem Fall der Berliner Mauer tiefgreifend verändert. Frankreich, das Speerspitze des europäischen Zusammenwachsens sein wollte, hat seine Ansprüche herunterschrauben müssen. Auf der einen Seite wegen des erstarkten Deutschlands, das jetzt schnell dabei ist, seine „nationalen Interessen“ zu behaupten. Und auf der anderen Seite, weil Frankreich an Einfluß in den Brüsseler Kreisen verloren hat, da es die kleinen Mitgliedsstaaten vernachlässigt hat, die zur Schaffung großer Koalitionen nützlich sind.
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