Boeing schockt mit 48.000 Entlassungen

Trotz eines Auftragsbooms sieht sich der Flugzeughersteller und Rüstungskonzern in einer Krise. Grund ist auch die Konkurrenz aus Europa. Dort steigt der Druck auf die Schaffung eines Gesamtkonzerns Airbus  ■ Von Reiner Metzger

Berlin (taz) – Die derzeitige Nummer eins in der weltweiten Flugzeug- und Rüstungsindustrie will sich radikal sanieren. In den kommenden zwei Jahren sollen 48.000 von 238.000 Boeing-Beschäftigten gehen. Der Marktführer aus Seattle begründete am Dienstag abend Ortszeit die Entlassung jedes fünften Mitarbeiters mit der Stornierung von Aufträgen mehrerer Fluggesellschaften. Der Flugverkehr in Asien habe stark unter der dortigen Wirtschaftskrise gelitten.

Boeing hatte eigentlich geplant, höchstens 28.000 Leute zu feuern. Noch im Februar hatte es geheißen, der Asienbedarf und damit der Verkauf der lukrativen Jumbojets B-747 steige ungebrochen.

Die Boeing-Probleme hängen jedoch nicht nur an der Asienkrise. Die Firma will allein in diesem Jahr 550 Passagierflieger ausliefern, im nächsten Jahr sogar 620 – ein Rekord, der den Konzernumsatz auf 58 Milliarden Dollar treiben soll. Mehr Einheiten liefen sonst nur in Kriegszeiten vom Band. Doch dem Management gelang es nicht, die steigende Produktion effektiv zu organisieren. Außerdem rechnen alle mit einem drastischen Rückgang der Stückzahlen Anfang 2000. Teure Rückrufaktionen für das Massenmodell B-737 kratzten zudem am Image.

Viel schlimmer als interne Läßlichkeiten oder technische Pannen setzt dem US-Riesen allerdings die Konkurrenz aus Europa zu. Die Airbus Industries gewinnt stetig an Marktanteil und hat bei den Neubestellungen Boeing ein-, wenn nicht schon überholt. Trotz eines harten Preiskampfs hat Airbus seit 1970 rund 3.000 Passagierflieger produziert – allein in diesem Jahr sollen 232 aus den Endmontagehallen in Toulouse rollen. Bis zum Jahr 2000 steigt die Zahl auf 300, sagte gestern Rainer Ohler, Sprecher von DaimlerChrysler Aerospace (Dasa).

Was die Betriebswirte bei Boeing am meisten erschreckt haben dürfte, ist jedoch die Produktivität des Airbus-Konsortiums aus Dasa, British Aerospace (BA), der französischen Aérospatiale und der spanischen Casa. Produzierte die zivile Sparte von Boeing im vergangenen Jahr 550 Flieger mit etwa 120.000 Angestellten, montierte die Konkurrenz in der alten Welt 232 Stück mit nur 33.000 Leuten. Mit der Entlassung Zehntausender kommt Boeing nun auf einen vergleichbaren Schnitt von gut 140 Beschäftigten pro produziertem Flugzeug.

Airbus wird also mit härterer Konkurrenz rechnen müssen. Das dürfte zumindest Dasa und BA nicht völlig unrecht sein. Immerhin könnten so die zähen Verhandlungen zur Gründung einer Airbus AG schneller vorankommen. Dagegen sperrt sich vor allem die französische Regierung. Sie hat bisher über die halbstaatliche Aérospatiale im Konsortium ein Wort mitzureden und fürchtet um ihren Einfluß. Die Massenentlassungen bei Boeing zeigten verstärkt, so Dasa-Sprecher Ohler, daß die „Europäer ihre Hausaufgaben machen müssen“.