: „Ich bitte sie aber, nicht das Mobilar zu zerstören“
■ Deutschlands dienstältester DJ als Schallplattenconférencier: Günter Discher swingt in der Gloria Bar
Count Basie treibt seine Big Band zum Höhepunkt. Tenor- und Altsaxophon krächzendie Töne, hart an der Schmerzgrenze. Zum großen Finale modulieren sie sich langsam die Tonleiter nach oben, bis nach dem Schlußakkord 4000 Menschen in tosenden Jubel ausbrechen. „Wow, wow, das war Swing-Musik, wie wir sie liebten.“ Günter Discher ist selbst mitgenommen von der Aufnahme, die er dem Publikum im „Gloria“, einer Bar in der Bellealliancestraße, vorgespielt hat.
Der 74jährige ist Deutschlands dienstältester DJ. Obwohl die Bezeichnung Discjockey recht eigentlich nicht taugt um zu beschreiben, was Discher macht. Schallplatten-Conférencier wäre treffender. Bei ihm werden die Stücke nicht ineinander gemischt, sondern angekündigt, kommentiert und fein bis zum letzten Ton ausgespielt. Und selbst wenn er ein Loch fährt, nimmt ihm das keiner übel. Schließlich legt er an diesem Abend keine modernen Grooves auf die Plattenteller – „obwohl ich sowas natürlich auch in der Sammlung habe“ –, sondern Swing-Musik aus seiner Jugend.
„Die meisten DJs sind viel zu sehr auf eine Stilrichtung festgelegt“, kritisiert er seine Kollegen, „ich habe immer alles dabei.“ Also nicht nur Swing, sondern auch Walzer und Hawaii-Musik. Im „Gloria“ aufzulegen freut ihn ganz besonders: Schließlich ist er 1925 gleich um die Ecke geboren worden. Die Eimsbütteler Chaussee und das Schulterblatt waren sein Revier. Hier ist er mit seinen Freunden von der Swing-Jugend durch die Läden gezogen. „Immer im feinen Glencheck waren wir unterwegs und trugen einen Schirm mit uns. Ganz englische Noblesse.“ Bewußt „zivil“ hätten sie sich gekleidet, mit längeren Haaren als im „Dritten Reich“ üblich.
Doch dieser Nonkonformismus wurde von der SS in ihrem Uniformierungswahn bereits als Widerstand begriffen. Discher wurde am 11. November 1942 verhaftet und wegen des Vorwurfs „Zersetzung des gesunden Volksempfindens“ in das Jugend-Konzentrationslager Moringen eingewiesen. „Meinen Anwalt haben die Nazis nicht einmal vorgelassen“, erzählt er, „die haben mich einfach verschwinden lassen.“
Heute läßt sich Dischers Geschichte prima vermarkten. Er spielt dieses Spiel mit, schließlich sieht er darin eine Möglichkeit, „die Jugend aufzuklären“. Dann legt er ein Platte von Teddy Stauffer auf und wendet sich an seine Zuhörer: „Es darf getanzt werden. Ich bitte Sie aber, nicht das Mobiliar zu zerstören.“
Eberhard Spohd
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