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Medienherbst

Theater, das eisig-poetisch Oberflächen ausstellt: Hans-Werner Kroesingers „Don't look now II“ im Podewil  ■ Von Eva Behrendt

Irgendwann ist es soweit und wir haben die Geschichte im Griff: Der Wunsch nach total kontrollierendem Zugriff auf Ereignisse ist das vielleicht hartnäckigste Phantasma der westlichen Gesellschaft. Daran hat bislang auch keine Kritik der Mechanismen und Funktionen etwas geändert. Jeder Versuch, einen Schritt außerhalb des Systems zu treten, gebiert die Notwendigkeit eines weiteren step into distance.

Distanz wird im Theater von Hans-Werner Kroesinger nicht erst produziert, sondern vorausgesetzt, auch wenn sich die Einrichtung des Theatersaals im Podewil den Zuschauer extra vom Leibe hält. Büromöbel aus Kunststoffen, eine Menge Elektronik, dosiertes, kaltes Licht. In schmalen Vitrinensäulen liegen unter Glasstürzen aufgebahrt Devotionalien west- bundesdeutscher Vergangenheit. Ein Modell des Unfalls der Hans- Martin-Schleyer-Entführung, eine Filmrolle, eine Handfeuerwaffe. Und eine Packung Kaffeefilter.

Das Thema: die Mediengesellschaft. Das Beispiel: der deutsche Herbst, die RAF, das Ringen einer Demokratie um Glaubwürdigkeit. Die Methode: Dokumentartheater, ironisch stilisierte, frostige Atmosphäre. Hans-Werner Kroesinger, Spezialist und Sprenger dieses Genres, verschränkt zwei Stränge miteinander. Den Dialog zwischen den Entführern der Lufthansa- Maschine Landshut und dem Tower des Flughafens Mogadischu auf der einen, das coole Verhökern von brandheißen Terrorismusinformationen durch vier Medien- Börsianer auf der anderen Seite. Der Dialog fast unbewegt abgelesen von zwei Schauspielerinnen, entfaltet durch die drohende Höflichkeit der Verhandlungssprache unerwartete Fiebrigkeit. Den Deal mit Originalinterviews, Videos, Fotos und Indizien dagegen stellt Kroesinger als Farce aus, wenn die Medienfreaks parallel zum Anbieten noch schnell ein Golfbällchen ins Übungsnetz lüpfen. Gleichzeitig wird Wahrnehmung übermäßig strapaziert, denn immer passiert alles parallel, raffiniert montiert und aufeinander bezogen: Schauspiel, Musik und Geräusche, zwei Leinwände mit Dia-Projektionen, eine wirre Schautafel, O-Ton- Einspielungen von Reden der Polit-Prominenz. Ganz gewiß kein Infotainment.

Diesem eisig-poetischen, lauter Oberflächen ausstellenden Theater kann es nicht ernsthaft ums Enthüllen oder Entlarven gehen. Daß die „Macht der Bilder“, die Simulationsstrategien der Medien, als Unterhändler oder Überwacher des Kapitalismus alle bis hin zur Identitätsstiftung korrumpieren – das zu wissen, gehört schon zum System. Doch manchen Spätergeborenen, denen der deutsche Herbst weder als nationaler Bewährungsmythos, noch als große Subversionsvision aufoktroyiert wurde, droht sich der auratische Eigenwert des Dokumentarschnipsel zu entziehen.

Deshalb erwartet die wohl schönste Ironie den Zuschauer am Ausgang. Dort werden für wahnwitzige 30 Mark einzelne DIN- A3-Farbkopien von RAF-Fotos verkauft. Die kann man sich aufs Klo hängen und jedesmal darüber lachen kann, daß man sich hat aufs Kreuz legen lassen, während man doch genau wußte, was man mit sich machen ließ.

Noch heute abend, 19.30 Uhr im Podewil, Klosterstraße, Mitte

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