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„Die Geschichte ist wie eine Waschmaschine“

■ Was könnten die ehemals sozialistischen Länder in die EU einbringen? Eigentlich viel, konkret aber nur billige Arbeitskräfte. Und die Intellektuellen? Ihre Rolle sieht Slavenka Drakulic ziemlich skeptisch

Slavenka Drakulic, 1949 in Kroatien geboren, ist Schriftstellerin und Journalistin. Auf Deutsch liegen von ihr u. a. vor: „Sterben in Kroatien – vom Krieg mitten in Europa“, Rowohlt 1992 und „Café Paradies oder Die Sehnsucht nach Europa“, Aufbau-Verlag 1997.

taz: Schriftsteller zerbrechen sich hier den Kopf darüber, ob Europa Wunschtraum oder Alptraum sei. Träumen die Menschen in Osteuropa heute, zehn Jahre nach der Wende, immer noch?

Slavenka Drakulic: Vom Standpunkt der osteuropäischen Staaten her ist Europa immer noch eine Art Traum. Da schwingen viele Mythen mit, was Europa wirklich bedeutet, so ungefähr: Sind wir erst wirtschaftlich und politisch in Europa angekommen, wird das für uns das Paradies sein. Nach 1989 waren die Erwartungen sehr hoch gesteckt, so schnell wie möglich zu Europa dazuzugehören. Nicht nur, um ein demokratisches System und Marktwirtschaft zu bekommen, sondern einfach besser zu leben. In dieser Hinsicht sind beide Seiten enttäuscht worden. Der Westen, weil sich der Osten nicht so schnell wie erwartet entwickelte, dafür aber Nationalismus und Krieg auftraten. Der Osten, weil der Reichtum ausblieb. Was in der Diskussion, auch hier wieder, häufig vernachlässigt wird, ist die besondere Mentalität als Folge der kommunistischen Herrschaft. Der Wandel der Mentalitäten und Wertvorstellungen konnte mit den politischen Veränderungen nicht Schritt halten. Diese tiefe Ungleichzeitigkeit ist eines der größten Hindernisse bei der Annäherung von Ost und West.

Im Zusammenhang mit der Integration der ehemals kommunistischen Staaten in die europäischen Institutionen werden immer gern die Kosten vorgerechnet. Was könnten denn diese Staaten in ein neues Europa einbringen?

Wirtschaftlich bieten diese Staaten einen Absatzmarkt und billige Arbeitskräfte. Abgesehen von solchen konkreten Kategorien gibt es einen großen Erfahrungsschatz, wie man unter schwierigen Bedingungen überleben kann. Doch an dieser Lektion ist der Westen wohl weniger interessiert. Kulturell könnten diese Länder Europa enorm bereichern. Das Problem ist nur, daß die Kultur unter der demokratischen Wende am meisten gelitten hat.

Intellektuelle hatten am Umbruch in den realsozialistischen Ländern entscheidenden Anteil. Welche Rolle spielen sie heute?

Ich hasse es, zu diesem Thema etwas zu sagen. Denn wenn immer über Intellektuelle gesprochen wird, geht es nur darum, wie großartig sie waren. In Jugoslawien habe ich etwas ganz anderes erlebt. Bereits fünf Jahre vor Ausbruch des Krieges in Jugoslawien begannen die Intellektuellen einen Medienkrieg und schürten Nationalismus und Haß. Sie haben die Menschen psychologisch auf den Krieg vorbereitet. Seit Kriegsende gerieren sie sich in Kroatien und Serbien als Bewahrer des nationalen Geistes. Das ist die gleiche Standardfunktion, die sie schon im Kommunismus als Staatsintellektuelle hatten: Sie propagieren die jeweils herrschende Ideologie, früher den Kommunismus, jetzt den Nationalismus. Deshalb haben die meisten Intellektuellen in Jugoslawien während des Kommunismus und des Krieges bis heute eine extrem negative Rolle gespielt.

In Ihren Büchern haben Sie stets den Umgang Kroatiens mit seiner Geschichte scharf kritisiert.

Die kroatische Regierung, die als Einparteienregierung funktioniert, tut alles, um das Positive aus der Zeit des Kommunismus zu negieren und den Faschismus der Jahre 1941 bis 1945 zu rehabilitieren. Das geschieht, indem die Geschichte umgeschrieben wird, Plätze und Straßen die Namen faschistischer Politiker erhalten. Die Geschichte ist wie eine Waschmaschine. Man steckt die schmutzige Vergangenheit hinein, fügt ein wenig ideologisches Pulver hinzu und wählt ein Programm. Raus kommt eine gewaschene, saubere Geschichte. Das zeigt den völligen Unwillen, sich mit dem, was war, auseinanderzusetzen.

Was bedeutet das für die künftige Rolle Kroatiens in Europa?

Wenn wir es nicht schaffen, uns mit unserer Vergangenheit auseinanderzusetzen, können wir nicht ein Teil Europas werden. Denn der Antifaschismus ist eines der Schlüsselelemente in der gemeinsamen Geschichte Europas und muß verteidigt werden. Unter der jetzigen Regierung wird das nicht geschehen. Doch deren Zeit läuft ab. Zum ersten Mal schließt sich die Opposition zusammen. Sollte es nach den nächsten Parlamentswahlen zu einem Regierungswechsel kommen, besteht die Chance, daß Kroatien auch bald reif für Europa ist. Interview: Barbara Oertel

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