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Maulkorb für Gefangene?

■ Knast-Zeitung „Diskus“ zensiert /Justizressort gefielen sechs Seiten nicht

Der „Diskus 70“, die Gefangenzeitung der Bremer Justizvollzugsanstalten, blickt auf eine lange Tradition zurück. Seit 1970 erscheint das Blatt ohne Unterbrechung und reklamiert für sich deshalb den Titel der „ältesten Gefangenenzeitung Deutschlands“. Die neuste Ausgabe ist jetzt von der Justizbehörde zensiert worden. Sechs Seiten mißfielen dem Justizressort. Der Herausgeber des Blattes, der JVA-Beamte Uwe Ballandis, wurde in die Behörde zitiert.

Stein des Anstosses ist unter anderem ein Interview mit dem Anstalts-Psychologen Manfred Beier. „Die Versuche ..., die Arbeit des Diskus 70 einzuschränken, liegen doch einfach daran, daß bestimmte Personen und Kreise offensichtlich etwas zu verbergen haben“, wird Beier in dem unveröffentlichten Interview zitiert. Der Psychologe kritisiert, daß sich im Knast seit dem Skandal um die JVA zu wenig geändert habe. „Zu vielen wirklich wichtigen Fragen ist weder unter dem letzten Anstaltsleiter, noch der derzeitigen Anstaltsleiterin konzeptionell etwas erarbeitet worden.“ Die Regeln für die Gewährung von Lockerung seien sowohl für die Gefangenen als auch für die Beamten unbefriedigend. Derzeit werden die Entscheidungen darüber, ob einem Häftling Lockerung gewährt wird oder nicht, von der Justizbehörde überprüft. Das führe zu einer „Null-Bock-Stimmung“ unter den Beamten, sagt Beier weiter. Außerdem wisse er nicht, ob den Klagen von Sexualstraftätern, die sich von Mithäftlingen bedroht fühlten, „genug nachgegangen“ werde. In einer Satire über „die Schreckensburg zu Ostenhaus“ wird Lisa Lutzebäck, beim Justizsenator für den Strafvollzug zuständig, als „Kerkerverweserin Lisa die Hochdotierte“ bezeichnet, die „alles und jeden niederstrecken konnte“. Es ist von Briefen an die Behörde die Rede, die verschwunden seien. Auch eine Glosse, in der Herausgeber Ballandis seinen Dienstvorgesetzen kritisiert, flog aus dem Blatt.

„Das hat nichts mit Pressefreiheit zu tun“, verteidigt Justiz-Staatsrat Ulrich Mäurer (laut Diskus „Ulrich der Furchtlose“) die Zensur. „Wir haben die Redaktion lange an einer langen Leine laufen lassen.“ Aber die Redakteure hätten in vorherigen Ausgaben viele frauenfeindliche Artikel veröffentlicht. Einer Redakteurin der Regionalsendung buten und binnen warf Herausgeber Ballandis beispielsweise vor, ihr Fernsehbericht über den Knast sei schlecht recherchiert, sie sei halt „blond und blauäugig“. Lisa Lutzebäck und Anstaltsleiterin Ines Kalisch titulierte das Blatt als „Schlangen“ und „Hexen“, die aufgrund ihrer „natürlichen Begabung hinter den Herd“ gehörten. „Hammerhart“, sei das, sagt Lisa Lutzebäck. Die Anfeindungen seien allerdings nicht der Grund für die Zensur des Blattes gewesen. Beamte, wie der Psychologe Beier oder der JVA-Beamte Ballandis, seien „zur Loyalität verplichtet“ und dürften sich nicht in einer Gefangenenzeitung äußern. Herausgeber Ballandis habe Schreibverbot bekommen. Der Vorwurf, bei der Behörde würden Briefe verschwinden, sei „völlig auf der Luft gegriffen“. Lutzebäck: „Das konnte ich nicht hinnehmen.“

Es ist nicht das erste Mal, daß der Diskus zensiert worden ist. Mitte der 70er Jahre war ein Artikel über die mangelhafte ärztliche Versorgung verboten worden. Erich Joester und Axel Bötticher (heute Richter am Bundesverfassungsgericht), die damals Mitglieder im Diskus-Förderverein waren, druckten die Ausgabe trotzdem. Die Staatsanwaltschaft leitete ein Ermittlungsverfahren ein, das später eingestellt wurde. „Mit der Zensur sollte man äußerst sparsam umgehen“, mahnt Joester. Auch Olaf Krützer, Vorstandsmitglied des Vereins Freunde und Förderer der Gefangenenzeitung, ärgert sich über die zensierte Ausgabe. Persönliche Anfeindungen dürften nicht sein, sagt er. „Aber grundsätzlich lehnen wir eine Zensur ab.“ kes

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