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Drugstore Cowboy

Inspiriert delirierte Assoziationskette: Nach 32 Jahren kommt Conrad Rooks' Beatnik-Manifest „Chappaqua“ ins Kino  ■ Von Christian Buß

as waren noch Zeiten, als man sich einen Stetson-Hut aufsetzen konnte, sich die Blutbahnen mit allen möglichen halluzinatorisch wirkenden Substanzen vollgepumpt hat – und eher als Abfallprodukt sowas wie eine ganzheitliche Kunst entstanden ist. Mit 32 Jahren Verspätung kommt jetzt Chappaqua ins Kino, eine der raren Arbeiten, die auf filmischer Ebene jene Ära dokumentieren, in der Beatnik-Freigeist und Hippie-Esoterik in der Drogen-Subkultur aufeinandertrafen. Produzent, Regisseur und Hauptdarsteller ist Conrad Rooks, der mit dem knapp 90minütigen Strom aus Bildern und Beats seine eigene Suchtkarriere aufgearbeitet hat.

Rooks ist ein echter Drugstore Cowboy, der schnieft und schluckt und spritzt und sich all dies in einem Senatorium nahe Paris abgewöhnen will – so die lockere Rahmenhandlung dieser inspiriert delirierten Assoziationskette. Aber die erscheint nebensächlich, denn es nicht wichtig, was Rooks tut, sondern, was er sieht. Und es ist wahrlich kein visueller easy ride, zu dem sich der Cowboy, der zugleich erzählerisches Objekt und Subjekt ist, hier noch einmal vor seiner Trockenlegung aufschwingt.

Rooks irrt durch menschenentleerte Großstadtgerippe und raucht mit alten Indianern Pfeife. Er taumelt durch ein Labyrinth aus knalligen Neon-Reklamen und fiebert sich in eine mythische Traumwelt. Er nimmt auf der Toilette vom Flugzeug eine Nase Koks und tanzt in den Armen seines Pflegers Walzer. Er singt mit Allen Ginsberg Mantras und erläutert einem auf Tod geschminkten William S. Burroughs seine Affinität zu bewußtseinserweiternden und -betäubenden Rezepturen. Dies sind auch die beiden Figuren, die innerhalb des Beatnik-Zirkels jener Tage für zwei Richtungen stehen, die in Chappaqua noch einmal zusammenfinden. Da ist der immer ein bißchen zu beseelte Heilkundler Ginsberg, der sich fernöstlich angehauchten Erweckungsphilosophien hingibt, und da ist der kühle und komische Burroughs, der mit seinen Romanen die Vorlage für Conrad Rooks' filmischen Cut-Up-Rausch geliefert hat.

Aus heutiger Sicht läßt sich natürlich einiges an Chappaqua belächeln: die schlichte Verteufelung von Zivilisation etwa, die in dem Mantra „The more we investigate, the less we know“ zum Ausdruck kommt oder in dem sehnsüchtigen Zitieren alten indianischen Kulturguts. Denn der Verlust der Unschuld durch das analytische Denken des weißen Mannes muß hier auch schon mal als Legitimation für Rooks' eigene multiple Sucht herhalten – die er wiederum dazu nutzt, in einen höheren Bewußtseinszustand zu gelangen.

Nebenbei ist der Film so auch eine Studie zum Thema Schizophrenie; da stehen Phantasmagorien von schönen wilden Frauen neben gängigen Schreckensszenarien der Urbanität. Die Sinne jedenfalls erhalten enormes Futter, und technisch steht der mit einer Reihe vorzeigbarer Verrückter wie Moondog, Ornette Coleman oder den Aktionsmusikanten The Fugs besetzte Chappaqua weit über anderen Drogen-Filmen jener Zeit – und auch der unseren. Zweifelhaft manchmal, zweifellos jedoch addicted to life.

morgen + übermorgen, 23 Uhr; Sa, 12 + So, 13. Dezember, 15 + 23 Uhr; Mo, 14. Dezember, 17.15 Uhr; Di + Mi, 15. + 16. Dezember, 23 Uhr, Abaton

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