: Auf der Straße
1000 Wege, Kultur zu schaffen: Dieses Wochenende findet das Erste Brasilianische Festival in der Motte statt ■ Von Heike Dierbach
Das Leben in Deutschland macht faul, meint Darya Valeska: „Alles ist so bequem.“ Die Schauspielerin lebt seit zehn Jahren hier und fühlt sich heute als „beides“: Brasilianerin und Deutsche. In ihrer TheaterperformanceEne-mene-mu-wer bist du inszeniert sie deshalb auch ihre eigene Geschichte: den Sprung zwischen zwei Kontinenten. Die Performance eröffnet heute abend in der Motte das Erste Brasilianische Kulturfestival in Hamburg.
„Brasilien ist viel mehr als Samba und Karneval“, betont Tänzerin und Tanzlehrerin Miriam da Silva. Workshops zu Tanz, Percussion, Capoeira, Improvisationstheater und Bewegung für Kinder, ein Vortrag, eine Foto- und Aquarellausstellung und zwei Konzerte sollen die kulturelle Vielfalt des Landes erlebbar machen – und ein Stück Lateinamerika ins winterliche Hamburg tragen, wünscht sich Organisatorin Cecilia Simao.
Doch es ist nicht nur das Klima, das das kulturelle Leben beider Länder unterscheidet, weiß Valeska: „In Brasilien gibt es 1000 Wege, Theater zu machen – hier mußt du zur Schauspielschule.“ Simao stimmt ihr zu: „In Brasilien haben wir einfach eine Bretterbude in der Fußgängerzone aufgestellt – nach einem Jahr war es die bekannteste Kulturkneipe in der ganzen Stadt.“
Die Künstlerinnen geraten ins Schwärmen, wenn sie vom Lebensgefühl in Südamerika erzählen. Doch obwohl man dort „viel intensiver lebt“, haben sie ihr Land verlassen. „Klar streben wir auch nach Sicherheit – man gewöhnt sich an Krankenversicherung, pünktliche Busse...“, erklärt da Silva. Valeska ergänzt: „Und wenn ich nach Brasilien zurückkomme, denke ich: ,Was für ein Chaos!'“ Gelächter bei allen.
Eine spezifische brasilianische Exil-Kultur gibt es in Hamburg nicht, meint Valeska: „Viele Brasilianer passen sich schnell an und wollen dann auch nicht zuviel miteinander zu tun haben.“ Teilweise schlage die gewohnte Hilfsbereitschaft sogar in Konkurrenz um. Simao ist es deshalb auch ein Anliegen, auf dem Festival ihre hier lebenden Landsleute zusammenzubringen. „Besonders die Kinder verlieren sonst den Kontakt zu ihren Wurzeln“. Für die Zukunft träumt sie von einem brasilianischen Kulturverein.
Immerhin wird das Festival ausschließlich von hier lebenden BrasilianerInnen bestritten und von Deutschen, die brasilianische Kunst praktizieren, wie die Percussion-Gruppe Quinta Feira. Auch die schwärmen von der Kulturfreundlichkeit des Landes, wie Paul Lazare: „Dort hätten wir keine Probleme, Proberäume zu finden – hier stört es überall.“ Die Offenheit hat auch mit der Armut des Landes zu tun, sagt Simao: „Das Geld für Oper und Theater haben nur wenige – da gehen die Menschen eben mit der Kultur auf die Straße.“ Heute kommen gerade aus den Armutsvierteln wichtige Impulse, so Lazare. Diese erreichen an diesem Wochenende hoffentlich auch Hamburg.
Eröffnung: heute, 20 Uhr. Das Festival geht bis Sonntag. Anmeldung ist noch möglich unter Tel.: 317 19 33 oder direkt heute abend in der Motte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen