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Zeh sprengt Denkmauern

■ Bilder von der wortgewaltigen Fantasiestadt des Schweizers Thomas Huber in der Galerie für Gegenwartskunst

„Kein Wort hat je ein Bild schöner gemacht“, frotzelt Thomas Huber über den endlosen Diskursteppich, mit dem Museums- und Pressemenschen die Kunst anmutig verhüllen wie einst Christo den Reichstag. Für Huber noch lange kein Grund beleidigt zu verstummen, sondern Ansporn, selber querzuquatschen gegen das klassische Vorwortgesabbele. Spätestens seit 1982 sind seine Ausstellungseröffnungen wahre Lehrstunden, in denen er, ausgestattet mit Zeigestöckchen und Ironie, jeweils eines seiner dezent surrealistischen, minutiös ausgepinselten Bilder erläutert. Dabei verliert er sich in abstrakten Gedankengirlanden, die monoman die Kantsche Frage nach dem Ding-an-sich umgarnen und sich zu abgeschmackt/anregenden Sätzen wie folgt gordisch verknoten: „Das Sichtbare gibt es nicht; es ist nur sichtbar.“ Oder: „Was am Abbild geschieht, soll sich am Urbild vollziehen.“

Doch das ist nicht alles. Huber taucht ab in Philosophie – und wieder auf in seinen eigenen Bildwelten. Zum Beispiel fordert er den Betrachter auf, sich vorzustellen, in den Bildrahmen zu steigen und im gepinselten Raum aus dem gepinselten Fenster auf eine gepinselte Landschaft zu gucken. Es geht um den alten Traum, die Grenze zwischen Realität und Fiktion zu überschreiten, ähnlich wie der kleine Junge in Endes „Unendlicher Geschichte“, oder, wenn das zu kitschig ist, wie Woody Allen in „Purple Rose of Kairo“ oder Italo Calvino.

Auf/in vielen Bildern Hubers sieht man eine Stafflei, vor die jederzeit ein Alter ego Hubers treten könnte, um einem imaginären Publikum ein imaginäres Bild zu erklären. Auf einem der Bilder steht sogar das Rednerpult bereit. Wie bei den russischen Holzpuppen in jeder Figur eine andere steckt, so schachtelt Huber Bildwelten ineinander. Eine surreale Konstellation: Schon Rene Magritte stiftete in seinem Bild „Condition humaine“ lustvoll Verwirrung zwischen Realität und Abbild. Huber malt zum Beispiel ein leeres Sofa, über dem ein Bild hängt, das die Geschichte erzählt von einem Liebespaar auf einem Sofa: Nichts steht für sich. Alles verweist auf etwas anderes.

Ein Künstler, der sich so gegen das autonome Kunstwerk sträubt, fabriziert natürlich auch nicht Arbeit auf Arbeit, sondern tüftelt an einem „work in progress“. Seit einigen Jahren „entwirft“ er eine fiktive Stadt. Sie liegt an einem Fluß vor einer imposanten Gebirgskette und weist mittlerweile Bibliothek, Bank, Akademie, Theater, eine monströse Laterne und eine Post auf. Wohnraum gibt's nicht. Vor allem aber sind die Wände dieser Stadt vollgeschrieben mit Sätzen, die von – mittlerweile inflationären – Schriftkünstlern wie Jenny Holzer, Bruce Nauman, dem unvermeidlichen Gerhard Merz, Joseph Kosuth, ach ja, und von Thomas Huber stammen könnten. Auf grauen Betonsäulen etwa steht in güldenen Lettern „Lachen“ und „Weinen“, immer schön abwechselnd. So wird dieser Säulenparcour – vermutlich – zu einer Metapher auf das stete Auf und Ab des Lebens, das es zu durchschreiten gilt wie eine Straße. Es geht darum „durch Sprache die Bildoberfläche zu durchdringen“ und umgekehrt, durch Bilder den Assioziationsraum eines Satzes zu erweitern: „Wörter klingen im Wald anders als im Treppenhaus“, dozierte Huber mal in einer seiner Ausstellungseröffnungen; und erst im Ehebett oder im Beichtstuhl. Und so klatsch Huber seine Sätze an diverse Innen- und Außenräume seiner fiktiven Stadt, und probt, wie sie hier und dort klingen.

Und weil Huber das Übersetzen von Wort in Architektur, Bild ins Wort usw. so liebt, übersetzt er natürlich auch die Idee vom Übersetzen in ein Bild: In der Galerie sitzt ein kleiner, knalloranger, verfetteter Pinocchio, der (nicht hier, aber in freier Natur) mit einem Fuß ins Wasser pantscht. Besonders sinngängig ist dieses Bild nicht. Aber wer sich die Mühe gibt und sich durch Hubers (in der Galerie ausliegende) Textberge durchwühlt, der erfährt, daß das Durchbrechen der Wasseroberfläche ein Symbol ist für das Durchbrechen einer Bildoberfläche. Ach, kann Kunst kompliziert sein! Doch wenn man sich einmal in dieses Verweisungsgestrüpp eingelassen hat, macht es Spaß, auf neue Puzzelsteine zu stoßen. Manchmal passen sie sogar ineinander; fast wie die Buchstaben beim Lösen von Kreuzworträtseln.

Auch auf den riesigen silberfarbenen Sperrholzbildern der Galerie sieht man Pinocchio: Er schaukelt, trommelt oder schwebt in einzelne Gliedmaßen zerlegt im Raum. Was das nun wieder soll? Außerdem liebt er Salat, und zwar Kopfsalat, Endivie, Lattich und Rapunzel; aber das ist ausnahmsweise mal nicht bedeutungsschwanger, sondern Hubersche Ironie. Ganz unironisch sei noch bemerkt: Die computergenerierten Architekturskizzen Hubers sind ein bißchen faschistoid, aber wunderschön. B.Kern

Bleicherstr. 55, bis 16.1. (geschlossen vom 22.12.-6.1.), di-fr 14-18h, do 14-20h, sa 12-14h

Prof. Huber und seine Braunschweiger Studenten: seit 10.12. im Hannover Kunstverein

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