: Transrapid des Alls
■ Die Internationale Raumstation verschlingt Millarden – keinen stört's
Gut, daß die Mittel für die Raumforschung fast ausschließlich von Männern bewilligt werden, meinte kürzlich ein Kollege. Kann sein, jedenfalls aus Sicht derer, die die Fernsehberichte von den Ausflügen ins All fiebernd als eine Art Live-Variante von Raumschiff Enterprise mitverfolgen. Und das sollen ja nicht wenige sein. Die anderen aber, nicht nur Frauen, haben für das Spektakel ein Schulterzucken übrig. Schlimmstenfalls finden sie es überflüssig. Doch seltsam, auch den Technik-resistentesten Frauen würde es nicht in den Sinn kommen, gegen die International Space Station (ISS) zu protestieren, und am Geldhahn sitzen sie ja nicht.
Für die Nasa, heißt es, soll die Errichtung der neuen internationalen Raumstation ISS ein überaus gelungener Publicity-Coup sein. Nach dem Ende des Kalten Krieges ständig von Etatkürzungen bedroht, hat die Raumfahrtbehörde jetzt endlich wieder die öffentliche Meinung hinter sich. Und vor allem Geld. 100 Milliarden Mark dürfen die amerikanischen, russischen und ein paar andere Raumfahrer verbraten.
100 Milliarden Mark – das ist fünfmal soviel wie die jährlichen deutschen Nettozahlungen in den EU-Haushalt, die Kanzler Schröder so unerträglich findet. 100 Milliarden Mark – das ist auch fünfmal soviel wie das als gigantisch bezeichnete Kreditpaket, das der IWF im Sommer für Rußland locker machte und das dort für zwei Jahre reichen soll. 100 Milliarden Mark – das ist gut zehnmal soviel wie die Sachschäden, die der Hurrikan „Mitch“ in Zentralamerika angerichtet hat, und sogar fünfhundertmal soviel wie die Summe an Hilfsgeldern, die die USA für die sturmverwüsteten Länder bereitstellen wollen. Und 100 Milliarden sind immerhin zehnmal soviel, wie der Transrapid einmal kosten soll.
Über den Transrapid wird seit Jahren mit Verve gestritten. Dieselben Leute, die gegen den Transrapid auf die Straße gegangen sind, die allein in Berlin durch eine gewaltige Organisationsanstrengung weit über 100.000 Unterschriften gegen die Magnetbahn eingeholt haben, wenden sich aber bestenfalls desinteressiert ab, wenn Astronauten spektakulär das amerikanische Modul „Unity“ (Einheit) an die russische „Sarja“ (Morgenröte) andocken.
Wie die Ökobilanz des Transrapid aussieht, darüber machen sich viele kluge Ingenieure Gedanken. Wieviel Energie beim Start einer Raumfähre draufgeht, darüber erfährt man nichts. Ob der Transrapid nötig ist, darüber werden kontroverse Gutachten in beachtlicher Zahl und Länge angefertigt. Von der ISS hört man lediglich, daß dort sicher Forschungsfortschritte über neuartige Materialien und medizinische Fragen zu erzielen sein werden. Zum Beispiel über die schon in der russischen Mir erforschte drängende Frage, ob auch in der Schwerelosigkeit Küken aus Eiern schlüpfen. (Beruhigende Antwort: Tun sie.)
Kritiker der Weltraumabenteurer findet man weder in der Umweltszene, noch in den Kreisen, die sonst gewöhnt sind, um jede Mark für soziale Zwecke zu kämpfen. Lediglich der US-Kongreß hat sich Gedanken gemacht, weil er wohl eine Milliarde Mark für Rußland bewilligen muß, um unterbezahlte Raketenfachleute dort davon abzuhalten, sich im Irak oder in Libyen zu verdingen. Vehemente Proteste kamen nur von ein paar Wissenschaftlern von den Physikalischen Gesellschaften in Deutschland und den USA, weil das Geld, das für die ISS ausgegeben wird, dann nicht ihnen zur Verfügung steht. All die anderen Skeptiker fühlen sich unzuständig. Daß das Geld für etwas Nützlicheres ausgegeben werden könnte, ist kaum jemandem präsent, wird es doch niemandem direkt vom Etat abgezogen. Und daß die ISS von 16 Ländern finanziert wird, trägt zur Anonymisierung bei.
Direkt Betroffene, die den Protest tragen würden, gibt es nicht. Das Weltall ist weit weg. Die einzige spürbare Auswirkung stört niemanden sonderlich: nämlich, daß es künftig einen neuen, besonders hellen „Stern“ am Firmament geben wird. Ansonsten: keine Bauprojekte in Naturschutzgebieten und keine Lärmbelästigung, denn Cape Canaveral oder Baikonur sind in ausreichendem Abstand zu den Anwohnern angelegt, während der Transrapid durch bewohntes Gebiet führt. Beim Volksbegehren gegen den Transrapid waren es nicht zufällig die Kleingärtner entlang der Magnettrasse, die am engagiertesten Unterschriften sammelten.
Doch sollte man sich gut überlegen, ob einem die ISS wirklich so gleichgültig ist. Wie wäre es mit einem internationalen Volksbegeheren? Grund genug hätten die Völker, gegen diese Verschwendung aufzubegehren. Nicola Liebert
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