: Fledermaus im Freudenhaus
■ Hier kalauert der Chef: Ulrich Engelmann bürstet Johann Strauß' beliebte Operette im Theater am Goetheplatz respektlos gegen den Strich
Wie hat Lubitsch das gemacht? Der Filmregisseur, der nicht zufällig mit „Das fidele Gefängnis“ 1917 einen Stummfilm (!) nach Motiven aus der „Fledermaus“ gedreht hat, ... dieser Ernst Lubitsch also zeigt den Zuschauern mit einem einfachen Trick, daß einer seiner Filme in Venedig spielt, indem er zuerst nur akustisch das Klischee präsentiert: Ein Italiener schmettert eine hochpathetische Arie, dann schwenkt die Kamera von der Brücke auf eine Gondel, und man sieht den singenden Gondoliere mit einer dampfenden Ladung von Müll in seinem Boot vorbeifahren. Mit dem gleichen Trick beginnt Ulrich Engelmann seine Inszenierung der „Fledermaus“ im Theater am Goetheplatz: Wenn nach der Overtüre der Vorhang aufgeht, sieht man Adele und Rosalinde von Eisenstein schlaftrunken und alles andere als glamourös umhertapsen. Erst als Rosalinde von der Bühne schlurft, hört man den ersten Ton der eigentlichen Aufführung: die Wasserspülung der Toilette! Diesen Kontrapunkt wird man auch bei den schönsten Liedern der Aufführung nicht vergessen können. Und Ulrich Engelmann, der in der Spielzeit 1996/97 Wagners „Meistersinger“ in Bremen inszeniert hat, gibt sogar noch eine Reprise (die Lubitsch sicher nicht nötig gehabt hätte): Wenn Rosalinde, als ungarische Gräfin maskiert, das verführerischste Lied der Operette singt, öffnet sich im Ballsaal die Tür der Damentoilette, die Klofrau schaut heraus und lauscht ergriffen.
Engelmann, Professor an der Ostberliner Schauspiel-Hochschule Ernst Busch, bürstet heftigst gegen den Strich. Nicht die Operettenseligkeit interessiert ihn, und so setzt er ständig Widerhaken in die Aufführung – Irritationen, die am Samstag abend nicht vom gesamten Premierepublikum goutiert wurden. So war der herzliche Schlußapplaus von Buh-Rufen durchsetzt, als Engelmann auf der Bühne erschien. Die baccanale Ballszene im 2. Akt wird bei ihm etwa als Orgie im Bordell ausgespielt: mit Herren, die in Unterhosen aus Kammertüren stolpern, einem kokainschnupfenden, androgynen Tänzer, einer Punkerin (!), einem nackten Paar, das durchs Bühnenbild flitzt und vielen eindrucksvollen Dekolletés (“Blößenwahn“ kalauerte Alfred Kerr einst sehr schön). Das Lied „Glücklich ist, wer vergißt, was nicht mehr zu ändern ist“ wird bei ihm zu einer Trinkerhymne, gesungen von einem Alkoholiker, der zwischen den einzelnen Noten aus der Flasche trinkt, und auch sonst ist die Aufführung mit Stilbrüchen gespickt (“Scheiße“ steht ganz bestimmt nicht im Libretto).
Nun wollen naturgemäß die meisten Operettenfreunde ihre Lieblingstücke traditionell und ohne Experimente präsentiert bekommen. Daß sich die Unmutsäußerungen sehr in Maßen hielten, zeigt, daß Engelmann zusammen mit dem musikalischen Leiter Rainer Mühlbach und dem Bühnenbildner Hartmut Schörghofer diese Erwartungen trotz der bissigen, fast schon sozialkritischen Interpretation nicht enttäuscht hat. Musikalisch hat die Aufführung ein solides Fundament, und das Bühnenbild besteht in erster Linie aus dem grandios ausgestatteten Ballsaal. Ein spektakulärer Bühneneffekt, bei dem das betont nüchterne Bühnenbild des ersten Aktes sich wie ein Vorhang hochheben sollte, um dann nahtlos in den Ballsaal und den 2. Akt zu führen, mußte wegen eines technischen Defektes leider ausfallen, und es gab eine Notpause nach dem ersten Akt. Aber dennoch hörte man aus dem Publikum viele Ahs und Ohs, als sich der Vorhang zum zweiten Mal öffnete.
Einige Scherze reitet Engelmann ohne Not tot. So ist etwa die erste Szene des 3. Aktes, in der Andreas Haller als Gefängnisdirektor Frank und Traugott Buhre als Gefängnisaufseher Frosch betrunken umherwanken und dabei ein Bündel toter Ratten umherschwenken, viel zu lang geraten. Aber meistens hat der Regisseur die nicht unerhebliche Komik des Stückes gut getroffen. Iris Kupke spielt die Verwandlung des unbedarften Stubenmädchens Adele in eine auf der Party bewunderte kokette Schönheit sehr anrührend und witzig. Aber der Star des Abends war Mihai Zamfir als Gabriel von Eisenstein. Er spielt den Ehemann, der sich von seiner Frau weg auf den feuchtfröhlichen Ball stiehlt, nur um dort wieder in den Armen seiner maskierten Gattin zu landen, mit einem wunderbaren Witz, den er mehr mit dem Tänzeln seiner kurzen Beinchen als im Dialog oder mit dem Gesang ausdrückt. So wie er Champagner schlurft, im Frack umherstolziert und den Frauen hinterhersieht, glaubt man ihm sofort den Schwerenöter und den Hallodri. Solch einen überzeugten und überzeugenden Hedonisten sieht man selten, und durch ihn wird der Grundsatz von Johann Strauß mit Leben gefüllt: „Nicht genießen heißt nicht leben.“
Wilfried „Operettenfan“ Hippen
Weitere, laut Spielplan noch nicht ausverkaufte Aufführungen: 18. und 29. Dezember sowie 8., 19., 21. und 23. Januar um 19.30 Uhr; 31. Januar um 15.30 Uhr
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