: Archaisch verbrämte Abziehbilder
Großes Konzert, uninspirierte Choreographie: „Bartók-Bilder“ in der Oper ■ Von Marga Wolff
Lang ist es her, daß ein Generalmusikdirektor in Hamburg mit dem Ballett zusammengearbeitet hat. Er wolle ein Zeichen setzen, hatte Ingo Metzmacher zuvor in einem Interview gesagt. Das Philharmonische Staatsorchester spielte unter der inspirierenden, festen Hand seines Chefs brillant und sensibel für die feinsinnigen Stimmungslagen von Bela Bartóks vielschichtiger Musik, als gelte es, all die Schlampigkeiten, die schon so manche Ballettvorstellung mit lauen Hörerlebnissen begleitet haben, wett zu machen. Und ließ John Neumeiers Compagnie in der Uraufführung der Bartók-Bilder auf der Staatsopernbühne recht blaß und unbeholfen aussehen.
Drei Choreographien zu drei Kompositionen Bartóks hat Neumeier für seinen neuen Ballettabend zusammengestellt. Jung, dynamisch, aufgeladen mit sportivem Tanzgeist bringt er in „Time after Time“ zur „Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta“ sein gesamtes Ensemble zum Einsatz, das sich hier aseptisch und asexuell wie nie zuvor präsentiert. Metzmacher hatte Bartók vorgeschlagen. Neumeier hat nach Bedeutungen und Motiven gesucht und außer folkloristisch archaisch verbrämten Aufläufen und bizarren, marionettenhaften Figurenzeichnungen nichts gefunden.
Ein Abend voller Selbstzitate, die wie eine Sammlung fader Abziehbilder daherkommen. Bühnenbildner Hans-Martin Scholder hat sie in einen schrägen Rahmen gestellt und den Orchestergraben mit knallrot gelackter Banderole umrandet. Knapp bekleidet mit Slip und Bustier schreiten die Frauen im Gleichschritt einen Laufsteg entlang, ergötzen sich an Dehn- und Streckübungen. Maßnehmen am und mit dem eigenen Körper. Burschikos gibt sich der Männerpulk, eine in weiß gekleidete Nymphe akrobatisch durch seine Mitte reichend. „Frühlingsopfer“ auf dem Bolzplatz?
Als wollte Neumeier Trieb und Intellekt gegenüberstellen, tragen die Tänzer Buchstaben herein, während Laura Cazzaniga und Ivan Urban in seltsam bemühten Verrenkungen ein Liebesduett anstimmen. „Winterwege“ zu Bartóks „Concerto“ läßt die Compagnie im Finale mit Lauf- und Sprintsequenzen zu fast olympischem Format auflaufen und zeugt von zunehmend fragwürdiger Ästhetik. Einziger Lichtblick: Energiebündel Elisabeth Loscavio mit Partner Jacopo Munari, während die großartige Heather Jurgensen sich mit immer schrulligeren Kreationen abmühen muß.
„Nachtskizzen“ zur „Tanzsuite“, der zentrale Pas de deux mit Anna Polikarpova und Stargast Maximiliano Guerra, ist ein Ausflug in eine andere Zeit. Altbacken und doch, dank Guerra, das aufregendste und einzig sinnliche Erlebnis an diesem Abend. Ein exzellenter Techniker ist der Argentinier und darüber hinaus ein Tänzer, der es versteht, Emotionalität körperlich auszudrücken. Der einzige auch, der John Neumeier wirklich zu inspirieren vermochte. Hamburgs Ballettchef hat seine junge, technisch versierte Compagnie zwar fest im Griff, herausfordern kann sie ihn anscheined nicht mehr.
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