■ Aus unserer Serie „Prüfungen des Alltags“: Die Weihnachtsfeier
Ach ja, es weihnachtet sehr, und wieder wabert das Grauen wie Hochnebel durch die Bürostuben Deutschlands. Sie kratzen sich am Kopf und fragen: „Warum bloß?“ Ich rate Ihnen: Gehen Sie in eine Buchhandlung und werfen Sie einen Blick in die Abteilung „Der Zeitgenosse am Arbeitsplatz“. Finden Sie dort nur ein einziges Bändchen mit dem Titel „Yippie! – Ich freu' mich auf meine Kollegen“? Sie finden es nicht.
Statt dessen werden Sie erfahren, daß die Schreibtischmenschen heutzutage alles tun, um sich gegenseitig das Leben so sauer wie möglich zu machen: Sie mobben, belästigen sich sexuell und schummeln bei der Kaffeekassenbuchhaltung. Kurzum: Das deutsche Büro ist eine Art Vorhölle mit Raumtemperatur.
So ist es gar kein Wunder, daß ich urplötzlich den Eindruck habe, mein Frühstücksmüsli mit Salzsäure angerührt zu haben, als Chefapotheker Fournier mit seinem „Heut ist der große Tag!“-Gesicht hereinschnürt. Schon hat er einen 50-Mark-Schein gezückt, und während ich mich mal wieder dafür verdamme, daß ich nichts Anständiges gelernt habe und deshalb in der Krankenhausapotheke Rechnungen sortiere, klärt er mich auf, daß er nach Feierabend die traditionelle Weihnachtsfeier abzuhalten gedenke und ich Butterkuchen und Kaffee kaufen soll.
Wie üblich beginnt die Festivität am Nachmittag damit, daß unser Chef einen Klingelbeutel zur Deckung der Kuchenunkosten herumgehen läßt. Das spricht zwar nicht gerade für seine Großzügigkeit – paßt aber bestens zu der allgemeinen Partylaune, die eine frappierende Ähnlichkeit mit jener Ausgelassenheit besitzt, die während eines Bußgottesdienstes in katholischen Kirchen herrscht. Streng festgelegt ist überdies die Sitzordnung: Am Kopfende der Tafel hocken die drei Medusen aus dem Lager. Damit keiner dem Irrglauben verfällt, daß sie sich mit uns gemein machen könnten, haben sie das von ihnen beanspruchte Revier mit einer Kakteenreihe vom Rest des Tisches abgegrenzt. Auch hat Frau Bruse mir selbstverständlich den Platz an ihrer Seite reserviert. Schon bald wird sie, wie jedes Jahr, unerschrocken dem Pfefferminzlikör zusprechen (den uns ein Pillendreherkonzern kistenweise als Werbegeschenk zu schicken pflegt), um dann ihr Bein an das meine zu drücken und mir zuzuraunen, daß Alkohol sie immer so enthemme.
Indessen versorgt uns die Pharmaindustrie nicht nur mit alkoholischen Getränken, welche man unschwer als Abfallprodukte der Hustensaftherstellung identifizieren kann. Sie schickt uns praktisch alles, worauf sich ein Firmenlogo anbringen läßt, weshalb unser Boß auch diesmal wieder einen hübschen Gabentisch zusammengestellt hat: Schon darf Frau Bruse sich über einen Radiowecker in Klistierspritzenform freuen, und für mich ist immerhin ein Handtuch in den Farben einer Halstablettenschachtel dabei. Sogar zwei Flaschen Hämorrhoiden-Salben- Sekt zaubert unser Chef aus dem Kühlschrank. „Machen Sie mal auf, Sie Handtuchhalter!“ sagt er launig, während der Rest der Belegschaft sich erwartungsgemäß darauf einigt, Lady Dianas Leben und Sterben zum Top-Thema unserer Zusammenkunft zu machen.
Und deshalb werde ich mich wohl mit Fug und Recht auf Notwehr berufen können, wenn ich nächstens vor Justitias verbundene Augen treten muß, um mich dafür zu verantworten, dem arglosen Chefapotheker F. einen Sektkorken zwischen die Augen geschossen zu haben. Joachim Schulz
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