Es gab immer auch andere Strömungen –betr.: „Kritik des guten Nationalismus“ von Kersten Knipp, taz mag vom 28.11. 98

[...] Im Vorspann des Essays wurde festgestellt: „Ob in Irland, Palästina, Kurdistan oder dem Baskenland: Vom Kampf für nationale Befreiung hatten die bundesdeutschen Linken immer eine hohe Meinung.“ Damit hat Kersten Knipp für die traditionelle neue Linke sicher weitgehend recht – aber es gab immer auch andere Strömungen. Er könnte zum Beispiel mal an seinem Wohnort Köln das Archiv der „beiträge zur feministischen theorie und praxis“ aufsuchen und dort in der Nummer 8 von 1983 folgenden Beitrag nachlesen: „Frauenbefreiung und nationaler Befreiungskampf – geht das zusammen?“ (von Maria Mies).

Der Autor des Essays scheint auch die im Folge der Wiedervereinigung gegen das nationale deutsche Coming-out begonnene Hinwendung eines Teils der Linken zu antinationalen Positionen nicht bemerkt zu haben. Die Zeitschriften konkret, Beute, Bahamas, 17 Celsius und die (alte) junge Welt veranstalteten im November 1994 die Konferenz „Links ist da, wo keine Heimat ist“, der Befreiungsnationalismus der PKK wurde zeitgleich massiv kritisiert von links. [...] Unsere Vorstellung in „Postfordistische Guerilla“ steht zu seinem Essay an einigen Punkten im Widerspruch, zum Beispiel:

Für uns geht es nicht um „ethnische Selbstbestimmung“ oder „ethnische Selbstverwirklichung“. Wir gehen vielmehr davon aus, daß nicht ethnisierte Gruppen die Essenz von Konflikten sind, sondern es um soziale Befreiung gegen patriarchale Verhältnisse, rassistische Ausgrenzung und das Kapitalverhältnis geht. Bei Kritik an Befreiungsbewegungen kritisieren wir immer auch die gesellschaftlichen Verhältnisse, gegen die rebelliert wird an verschiedenen Orten im kapitalistischen Weltmarkt.

Ohne eine Analyse der Rahmenbedingungen für Befreiungsbewegungen, die sich durch die postfordistische Umstrukturierung und Modernisierung des Kapitalismus sehr verändert haben, bleibt die „Kritik des guten Nationalismus“ auf halber Strecke stehen und kann als Plädoyer für eine Akzeptanz der institutionellen Spielregeln des Kapitalismus verstanden werden.

Eine Weltrevolution fänden wir eine gute Sache, die aber im diametralen Gegensatz nicht nur zum Nationalismus stehen müßte.

Eine Anpassung an bürgerliche Diplomatie und Spielregeln ist keine Alternative zum bewaffneten Kampf als Guerilla, zumal diese häufig vorrangig der Selbstverteidigung gegen die (halb-)staatliche Gewalt diente wie in Nordirland oder Chiapas.

Nation, Staat, Patriarchat und Kapital stehen für uns einer sozialen Emanzipation entgegen, die wir uns wie die Zapatistas in Chiapas als Selbstorganisation von Ausgebeuteten vorstellen.

Es würde mich freuen, wenn das taz mag für ein Streitgespräch zwischen Kersten Knipp und der gruppe demontage die Seiten öffnen würde.

Gaston Kirsche von der gruppe demontage