: Ohne blaue Blume
■ Der Revolutionshistoriker Francois Furet verortet den Menschen der Romantik zwischen der aristokratischen und der bürgerlichen Welt
Im Referat 6 des bayerischen Kriegsministeriums war Carl Schmitt 1917 dafür zuständig, die Verbreitung feindlicher Propagandaschriften und Flugblätter zu überwachen. Die Zensur schien für ihn die inspirative Stimmung zu schaffen, um sich mit dem in ganz Europa ungeklärten Phänomen der Romantik zu beschäftigen. 1919 erschien sein bis heute erfolgreiches Buch „Politische Romantik“. Mit melancholischen Unterton beschreibt er, daß nur in einer individualistisch aufgelösten Gesellschaft, wie sie die des 19. Jahrhunderts war, das ästhetisch produktive Subjekt das geistige Zentrum in sich selbst verlegen konnte. Das private Individuum muß sich selbst alles sein: der eigene Philosoph, Dichter, König und der eigene Architekt seiner Persönlichkeit. Was heutzutage als Bastelpersönlichkeit von der Soziologe gerühmt wird, hat Schmitt als Verlust der sozialen Hierarchie vorhergeahnt.
Den Auftakt macht der Bürger
Verglichen mit der „Politischen Romantik“ nehmen sich die Porträtstudien des von François Furet herausgegebenen Bandes „Der Mensch der Romantik“ sowohl im Stil als auch im intellektuellen Anspruch eher bescheiden aus. Furet, bekannt geworden durch seine Studien zur Französischen Revolution und zum Kommunismus, verortet den Menschen der Romantik zwischen 1814 und 1848, zwischen dem Ende der Französischen Revolution und ihrer Neuauflage. Diese Jahre waren nach Furet weder eindeutig aristokratisch noch eindeutig bürgerlich, sie sind vielmehr durch ein Nebeneinander zweier Prinzipien und zweier Welten charakterisiert. Denn ungeachtet der Tatsache, daß das Ancien régime mit der Revolution für abgeschafft erklärt worden war, versuchten die restaurativen Kräfte unter der Führung Clemens von Metternichs die europäischen Nationen umzuerziehen.
Über die Frau in der Romantik schreibt ein Franzose, und er stellt uns einige besonders charmante und mutige Pionierinnen ihrer Zeit vor. Zu den Romantikerinnen rechnet er großzügig die Frauen aus dem Volk, die nach Versailles marschierten und den König zwangen, nach Paris zu ziehen, sowie Madame Roland, die durch ihren Salon als politische Muse wirkte, aber auch Caroline Schlegel-Schelling, die bekanntermaßen beinahe vor Lachen vom Stuhl fiel, als sie Schillers „Lied von der Glocke“ (Und herrlich, in der Jugend Prangen, wie ein Gebild aus Himmelshöhen, mit züchtigen, verschämten Wangen, sieht er die Jungfrau vor sich stehen“) las. Auch schmückt er seinen Text mit Karoline von Günderrode, die sich lieber erdolchte, als auf Liebe und Ruhm zu verzichten. Dem Autor fehlt es spürbar an einem Begriff, über was er eigentlich schreibt. Der Romantikerin kommt in diesem Band eine überwiegend dekorative Funktion zu.
Im Kapitel über den Intellektuellen wird ein philosophischer Ton angeschlagen. Hegel warf den Romantikern vor, sie würden mit dem „schlechten Unendlichen“ flirten, und der Autor Sergio Givone stellt apodiktisch fest: „Ob sie nun auf das klassische Griechenland oder die eigene Tradition wie auf unrettbar verlorene Regionen der eigenen Seele blicken oder sich zu Bannerträgern grandios-revolutionärer Projekte machen: der Leitstern dieser Intellektuellen ist das Nichts.“ Givone definiert die Romantik als jene Epoche, in der die Kunst der Ästhetisierung des Lebens Platz gemacht hat. Als Protagonisten macht er den Ästheten, den Dandy und den Flaneur aus. Sie sind zu intensivem Erleben fähig und fühlen sich doch in eine „unheilbare Einsamkeit“ verbannt. Diesem paradoxen Gefühl begegnet der Dandy durch seine Maskerade, der Flaneur durch die Verdinglichung seiner selbst und der Ästhet mit Ironie. Der Ästhet ist ein Meister der Differenz. Es ist sein Fluch und gleichzeitig die Bedingung seiner Überlegenheit, daß er spüren muß, was anderen entgeht. Der Dandy interessiert sich nur für sich selbst. Er ist eine Gestalt des Übergangs, deren Kennzeichen Kälte, Provokation, Wille zur Macht und Hang zur Maskierung sind. Er hat sich der Selbstkontrolle und Selbstbespiegelung verschrieben. Dabei schützt ihn seine dekorativ zur Schau getragene Gleichgültigkeit vor den Anfeindungen der anderen. Der Flaneur dagegen ist beständig bereit, sich von seiner Umwelt verführen zu lassen. Diese drei Gestalten beschützen den Raum des Unwesentlichen und Unnützen. Sie wollen nicht Künstler genannt werden und behaupten, alles Leben sei Kunst.
Bronislaw Baczko hebt in seinem Text über den Revolutionär den modernen Charakter dieser Gestalt hervor. Das Revolutionärsein ist vor allem eine kollektive Seinsweise. Der Revolutionär unterteilt die Welt in seinesgleichen und in die anderen, die seinen politischen Zielen entgegenarbeiten. François Furet hat in einem seiner frühen Werke bemerkt, die Französische Revolution sei eine Verkündigung, die von keinem Ereignis erfüllt werden könne. Auf diesen Gedanken greift Baczko zurück, wenn er klären will, welche Auswirkungen die Erinnerung, der Mythos und das Versprechen der nicht zu Ende geführten Revolution für die nachfolgende Generation hatten. Bis 1848 konstatiert er ein „mimetisches Verhalten der Revolutionäre“. Die revolutionäre Tradition wurde über die Memoiren und Erinnerungen der 1789er in das 19. Jahrhundert weitergereicht. Grell war der Gegensatz zwischen der heroischen Vergangenheit und der tristen Gegenwart ohne Ideal. An der Spitze der aktuellen Nationalismus-Forschung befindet sich der sogenannte „long distance nationalism“. Gemeint ist damit, daß zum Beispiel die New Yorker Community aus Kosovo- Albanern die nationalistische Bewegung in ihrer ehemaligen Heimat finanziert und steuert.
Die zornigen jungen Männer Europas
Dieses Phänomen ist so neu nicht, wenn wir uns die romantischen Revolutionäre zu Beginn des 19. Jahrhunderts betrachten. Die zornigen jungen Männer Europas reproduzierten das Ideal des Revolutionärs in Geheimgesellschaften. Die Internationalisierung der Geheimgesellschaften geht auf Giuseppe Mazzini zurück, der 1834 das Junge Europa gründete. Man arbeitete europaweit konspirativ, und Ehre und Treue gegenüber der Sache standen an oberster Stelle. Doch auch diese Bewegung alterte samt ihren Protagonisten und rekrutiert wurden zunehmend solche Männer, die in ihr eigenes Revolutionärsein verliebt waren und denen die Ziele gleichgültig oder fremd waren. Im Exil schließlich verkehrt sich das Verhältnis des Revolutionärs zur Zeit. Die Revolution lädt die Gegenwart auf und gilt dem Revolutionär als wichtige Etappe auf dem Wege zu einer völlig neuen und immerwährenden Zukunft.
Im Exil dagegen setzt der Umkehrprozeß ein, die Gegenwart wird abgewertet und die Zeit des Wartens wird mit der sentimentalen Erinnerung an kämpferische Zeiten vertan. Die Revolutionäre werden zu tragischen Figuren, denen der Anschluß an die neue Zeit nicht mehr gelingen mag. Von ihren Nachfolgern, den Streikführern und Arbeiterräten des 20. Jahrhunderts, werden sie als ehrenwerte Relikte der Vergangenheit bestaunt und zu Romantikern erklärt. Karin Wieland
François Furet (Hrsg.): „Der Mensch der Romantik“. Campus Verlag, Frankfurt/Main – New York 1998
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