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Popper im Postrock-Pelz

■ Martin Gretschmann alias Console alias graue Eminenz der Indie-Hochburg Weilheim spielt heute nacht in der Galerie berlintokyo

Auf der Coverinnenseite des letzten Albums von Console findet man eine Espressomaschine. Ein nützliches Gerät, ein vielseitiges Getränk. Dem einen dient Espresso zur Entspannung an einem gemütlichen Nachmittag, dem anderen als Hilfsmittel, eine lange Nacht noch etwas länger zu machen. Man kann Espresso also verwenden, wenn man tanzen geht, oder auch, wenn man nur faul rumhängt. Auch die Musik von Console kann man für beides verwenden.

So wie auch Weilheim für vieles steht: für oberbayerische Provinz und musikalische Weltläufigkeit, für Gitarre und Elektronik, für Song und Sound. Im 20.000-Seelen-Kaff Weilheim hat sich um die als Dinosaur-Jr-Epigonen gestarteten Notwist und das inzwischen recht ruhmreiche Label Payola in den letzten Jahren eine schwer ineinander verschränkte Szene angesammelt.

Martin Gretschmann ist so etwas wie die graue Eminenz des Städtchens, spielt bis heute als Punkrock-Bassist bei Toxic, mischt Notwist die schicken Beats unter den Gitarrenteppich und hat bei Tied & Tickled Trio, Sharon Stoned, Surrogat, Locust Fudge, Slut und Stella die Remixfinger dringehabt. Von sich sagt er, daß er schon immer Synthesizer kaufte von dem Geld, das die anderen für Platten ausgaben. Die computergestützten Ergebnisse des egomanischen Bastlers gibt es unter dem Namen Console auf inzwischen zwei Platten zu hören.

Dort finden sich diese pelzigen, süßen Beats, mit denen er auch den Weilheimer Nachbarn von Notwist den Weg ins ausgehende 20. Jahrhundert wies. Inzwischen ist er festes Mitglied bei den Gitarrenrockern, die dank ihm recht erfolgreich keine richtigen Gitarrenrocker mehr sind. Für seine eigenen, immer etwas gemütlichen Tracks findet er die stimmungsmäßigen Vorbilder denn auch nicht auf den Tanzböden dieser Welt, sondern bei „Gitarrengeschichten, Sachen wie Sonic Youth oder Leonard Cohen“. Das sagt er selbst, und das hört man. Auch daß er „eigentlich ein alter Popper“ ist, wie er sagt. Nicht an den Sounds, aber eben an den Stimmungen. Und auch daran, daß sich Console auch ohne Stimme meistens am Songformat orientiert und nicht an den repetitiven Strukturen von Techno oder House.

Seine Arbeitsmethode ist eher mit der amerikanischer Low-Fi- Bands zu vergleichen, und so sieht auch das Plattencover aus. Gretschmann sammelt Alltagsgeräusche oder alte Casio-Sounds und kombiniert sie zu ebenso verspielten wie eingängigen Tracks, denen es nicht einmal schadet, wenn ein Sambarhythmus oder ein Trio-Zitat sie aus der Lethargie reißen. Wenn man unbedingt will, kann man vielleicht sogar dazu tanzen – sehr vorsichtig jedenfalls.

Live allerdings traut Gretschmann seinem Konzept nicht mehr so ganz und tritt mit zwei Keyboardern und einem Schlagzeuger auf. Aber auch das erinnert doch an Kollegen wie Mouse on Mars, To Rococo Rot oder Kreidler. So läßt sich Console mehr oder weniger widerstandslos einordnen in die hübsche Erfindung Electronic Listening, eine Entwicklung, bei der deutsche Kräfte eine führende Rolle spielen. Weltniveau, wie der DDR-Bürger gesagt hätte. Gretschmann allerdings ist möglicherweise noch einen Tick freundlicher als die nationale Konkurrenz, seine Sounds landen dann endgültig im Ohrensessel. Dort finden sie genau jenen wundervollen Schwebezustand, in dem man sich nach mancher langen Nacht befindet, egal, wie man sie verbracht hat. Dieser Moment, in dem man zu müde zum Weitermachen ist, aber noch zu aufgewühlt, um ins Bett zu gehen. Thomas Winkler

Mit Thomas Fehlmann ab 24 Uhr in der Galerie berlintokyo, Rosenthaler Straße 38, Mitte

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