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■ BewegungsmelderGesucht: Der Pate

In Bonn war alles ganz einfach: Aus dem Haus raus auf die Adenauerallee, dann immer geradeaus und auf Höhe des Langen Eugens – das Gebäude, das bald leer steht, weil alle Bundestagsfritzen in die Berliner Dorotheen- und Luisenblöcke umgezogen sind –, beim Langen Eugen also rechts ins Regierungsviertel abbiegen. In Berlin aber: endlose Straßenschluchten, Autobahnkreuze, Baustellen. Der Bonner Stadtplan paßte ausgefaltet noch auf die Schreibtischunterlage, der Berliner nimmt die ganze Tischplatte ein. Kurz: In dieser Metropole, ja dieser Mega-City ist der rheinische Durchschnittskleinbürger schlichtweg überfordert. Er/sie braucht Hilfe!

Berliner Schnoddrigkeit ist für die zarte Bonner Seele ungeeignet. Der gemeine Bonner an sich braucht etwas mehr Zuwendung – ja, Bonner wollen betüdelt werden. Wie gut, daß sich wenigstens eine Handvoll BerlinerInnen in der kalten Großstadtwelt ein Stück warme Menschlichkeit bewahrt haben. Sie wollen sich der Bonner annehmen, die da nächstes Jahr kommen. Warum soll, was mit der Dritten Welt funktioniert, nicht auch in unserer Haupstadt klappen: Jeder entwicklungsbedürftige Bonner kriegt einen Berliner Paten. Die Paten nehmen den verängstigten und orientierungslosen Kleinstädter ins Schlepptau und schlagen einen Pfad durch das Dickicht des Großstadtdschungels. Opern, Theater, Kinos und Kabaretts sowie Kneipen, Kieze und Kontakte umfaßt das Patenschaftsprogramm. Die in Berlin gut getarnten katholischen Kirchen sind für den rheinischen Katholizismus vielleicht auch interessant. Das brandenburgische Umland bleibt dem Patenschaftskurs II für Fortgeschrittene vorbehalten.

Professionelle Hilfe erhalten die potentiellen Paten vom Tagesspiegel. Für diese Einrichtung „gewissermaßen von Herz zu Herz und von Mensch zu Mensch“ vermittelt dessen Lokalredaktion gerne Kontakte. Etliche Interessenten haben sich schon gemeldet.

Nie jedoch kämen die gutgläubigen Rheinländer auf die Idee, daß etwas anderes als Selbstlosigkeit und Mitmenschlichkeit hinter der Patenschaftsidee stecken könnte. So naiv können nur Provinzler sein. Pure Berechnung ist der wahre Grund. Bevor die Bonner an der Spree gar den Ton angeben sollten, hat sich die Patenorganisation gedacht, wollen lieber die Berliner die Bonner kaltstellen. Nicht daß die Hauptstadt auf einmal Kleinstadtgepräge bekommt. Die Bonner, die keiner haben will, werden verlost. Und der Tagesspiegel schöpft unter den eingeschüchterten Bonnern massenhaft Abonnenten ab.

Trotz alledem: Die Idee hat was. Hauptsache, die Paten sind frei wählbar. Groß, blond, Single und gutverdienend wäre nicht schlecht. Jutta Wagemann

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