Village Voice: Scheiße oder schön?
■ „Früher im Jahr“ von Zimtfisch
Sie hören es gar nicht gern, aber es läßt sich einfach nicht vermeiden, es muß immer wieder gesagt werden: Zimtfisch sind, nachdem Sven Regener nach Hamburg verzogen ist, so ziemlich die letzten verbliebenen Protagonisten des lieben alten und eigentlich längst aus der Mode gekommenen Westberliner Mauerblues.
Das hat sich auch auf ihrem neuen, zweiten Album „Früher im Jahr“ nicht grundsätzlich geändert. Noch immer schreiben sie den Soundtrack für die nicht zu seltenen tristen Tage mit Blick auf die Brandmauer eines trüben Hinterhofs einer typischen Berliner Mietskaserne. Und Jakob Dobers singt dazu: „Der Himmel ist grau, und ich weiß nicht genau, wie lange ich schon am Fenster steh“. Oder: „Ich möchte schlafen, bis der Frühling kommt“.
Schleierhaft bleibt allerdings, in welchem vergessenen Außenbezirk Dobers noch die Hotelbars findet, in denen „die Gäste dezente Schlipse tragen und eine traurige Hausband La Paloma spielt“. Denn zwar ist die Welt, die Dobers in den Zimtfisch-Songs entwirft, ein Kunstprodukt und trägt die Patina der 20er Jahre, aber reklamiert dann doch wieder, aktuelle Befindlichkeiten zu verhandeln, so etwas wie zeitgemäßen Chanson abzuliefern.
Die Hülle der CD haben sie in einem satten Braun gehalten, die Musik eher klavierlastig. Das bisher eher dominierende Akkordeon, Standardinstrument für melancholisches Fernweh, dagegen etwas zurückgeschraubt. So steht denn Dobers' Stimme auch schon mal einsam und verlassen über einem spartanischen Piano, das seine Töne nur sehr vorsichtig und auf ausdrückliche Nachfrage rausrückt. Aber selbst in kompletter Besetzung bleibt die Band komisch reduziert, scheint ein interner Wettbewerb um Nichtauffälligkeit stattzufinden. Auch wenn das Tempo anzieht, ist alles nur so hingetupft und behutsam gerührt. Die Stimmungslage ist zwar stets melancholisch, aber dann doch niemals melodramatisch.
Fast scheint es so, als wüßten sie selbst am genauesten um den schmalen Grat zum Kitsch, den sie ständig entlangwackeln und von dem speziell Dobers hin und wieder auch abzustürzen droht. Wenn in „Heute ist Sonntag“ solche Platitüden wie „Manchmal ist das Leben still und manchmal ziemlich schnell, Kaffeepulver gibt's nicht mehr, das Brot ist hart wie Stein“ in der Schlußfolgerung „Heute ist Sonntag, und morgen ist Krieg, und übermorgen tut's schon gar nicht mehr weh“ gipfeln, rettet sie nur das lakonische Blues-Schema vor dem Abschmieren.
Zwar ging es bei Zimtfisch natürlich nie um Authentizität, aber das bedeutet noch lange nicht, daß ihre Musik und die jungenshafte Aufrichtigkeit von Dobers nicht etwas zutiefst Wahrhaftiges haben. Nicht umsonst ist es ihnen schon mal passiert, daß sie ein ganzes langes Konzert lang für ihre eigene Karikatur gehalten und gnadenlos belacht wurden.
Denn so endgültig ist nicht zu entscheiden, ob all das nicht auch durchaus ironisch gemeint sein könnte. Oder anders gesagt: Kann man einen Satz wie „Der Tod hat eine Hasenscharte und schlechte Zähne unterm falschen Bart“ singen, ohne doch wenigstens ein wenig über sich selber lachen zu müssen? So geht der Refrain eines der hübschesten Lieder durchaus als grundsätzliche Frage zu dieser Platte durch: „War das scheiße oder war das schön?“ Denn wenn es zu schön wird, fragt man sich plötzlich selbst, ob man noch ganz dicht ist.
Der anfangs schon erwähnte Sven Regener hat mal gesagt, „Schlager und Chanson ist doch dasselbe“, und als Sänger von Element of Crime sollte er es wahrscheinlich wissen. Bei Zimtfisch kann man ab und zu hören, daß das sehr wohl richtig ist. Wesentlich öfter aber beweisen Zimtfisch glücklicherweise dann aber doch gerade das Gegenteil. Thomas Winkler
Zimtfisch: „Früher im Jahr“ (Minirock Records, Uwe Strecker, Torstraße 175, 10115 Berlin, Tel/Fax: 2836425)
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