: Mail-order Handke
Die vom EU-Wettbewerbskommissar geforderte Aufhebung der Buchpreisbindung ruft Schreckensszenarien vom Ausverkauf des guten Buchs hervor. Vor 26 Jahren wurde die Preisbindung für Schallplatten aufgehoben: Ein Vergleich aus gegebenem Anlaß ■ Von Kolja Mensing
Jetzt wird es also ernst. Im März nächsten Jahres will die Wettbewerbskommission der EU die Buchpreisbindung in Deutschland und Österreich aufheben, sollte bis dahin kein Kompromißvorschlag vorliegen. Schriftsteller, Verleger und Buchhändler klappern darum sehr laut mit den Zähnen und entwerfen in Zeitungsartikeln und auf Podiumsdiskussionen Schreckensszenarien. Die Stichwörter sind bekannt: Bestsellerkultur, Verlagssterben, Bankrott der kleinen Buchhandlungen.
Natürlich weiß niemand genau, wie realistisch diese düsteren Prognosen sind. Es lohnt sich, das Wehgeschrei einen kurzen Moment zu unterbrechen und sich den benachbarten und gar nicht so ganz verschiedenen Musikmarkt anzusehen. Dort sammelt man nämlich schon seit einiger Zeit Erfahrungen: Bereits vor 26 Jahren wurde die Preisbindung für Schallplatten in der Bundesrepublik aufgehoben. Anfang der siebziger Jahre beschloß die frischgewählte sozialliberale Regierungskoalition ein Verbot der Preisbindung – einzige Ausnahme sind bis heute Bücher und andere Druckerzeugnisse. Die Bedenken in der Schallplattenbranche waren damals die gleichen, wie sie dieser Tage gern vom Literaturbetrieb vorgetragen werden: Das „Kulturgut Musik“ würde zur Ware verkommen, hieß es, und kläglich in den bedrohlichen Fluten des freien Marktes untergehen.
Auf den ersten Blick hat sich diese kulturpessimistische Vorhersage bestätigt. „Tonträger sind zur Schleuderware geworden“, findet Bodo Bochnig, der einen Wuppertaler Plattenladen betreibt und als Vorsitzender des Fachverbands Tonträger im Gesamtverband deutscher Musikfachgeschäfte (GdM) die Interessen des Einzelhandels vertritt. CDs werden in den Kaufhäusern und Elektromärkten wie „Saturn Hansa“ oder „Media Markt“ unter dem Einstandpreis angeboten, um Kunden mit dem Angebot in den Laden zu locken. Der Fachhandel kann da nicht mithalten: „Die Industrie hat uns fallengelassen“, so Bochnig, „und wir sind darum in den letzten 20 Jahren entsprechend ausgedünnt worden.“ In Zahlen: Im Vergleich zu den rund 15.000 Fachgeschäften im Jahr 1975 gibt es heute gerade noch 4.000 Stück – die Geschäfte in den neuen Bundesländern eingerechnet.
Soweit zur Katastrophe. Ganz so schrecklich ist es allerdings nicht. Zwar ist man sich allgemein über den Verdrängungswettbewerb auf Seiten des Handels einig, und man darf damit rechnen, daß es in Zukunft dem Buchhandel angesichts der sogenannten Kulturkaufhäuser ähnlich gehen wird. Doch weniger Schallplatten gibt es deswegen noch lange nicht. 191 Millionen Longplayer – CDs, MCs und Vinylplatten – wurden 1997 verkauft. Zum Vergleich: 1970 waren es 44,2 Millionen Platten und Kassetten. Und auch die Zahl der Plattenfirmen hat sich in den letzten Jahren verfünffacht. Natürlich hat die CD seit Anfang der achtziger für neue Käufer gesorgt, aber auch die Anbieter selbst sind innovativ geworden.
Wolf-D. Gramatke ist Vorsitzender der Geschäftsleitung von Universal Music Deutschland, derzeit der weltweit größte Plattenkonzern. Er erinnert an die Marketingstrategien, die die Branche in der Vergangenheit entwickelt hat, um auf den veränderten Markt zu reagieren. Heute gehört dazu vor allem die Präsenz im Internet: „Wenn wir draußen unser Umfeld verlieren, weil uns der Fachhandel fallengelassen hat“, so Gramatke, der mit der dominierenden Rolle der großen Einkaufsmärkte auch nicht glücklich ist, „dann bieten wir eben im Web an. Anders gesagt: Kommt der Kunde nicht zu uns, kommen wir zum Kunden.“ Böse Worte wie „E-Commerce“ oder „alternative Outlets“ wollen die selbsternannten Beauftragten der Büchernation natürlich eigentlich nicht hören: „Ich verstehe gar nicht, warum Verlage da so mißtrauisch rangehen“, meint Gramatke, „einen Online-Buchhandel wie Amazon.com oder das Bertelsmann-Projekt darf man nicht verdammen. So etwas muß man doch umarmen.“
Immer wieder hörte man das Argument, die Aufhebung der Buchpreisbindung würde die Konzentration im Verlagswesen beschleunigen: Kleine Verlage könnten bei der heavy rotation des Bestsellergeschäfts nicht mithalten, würden aufgekauft oder müßten Konkurs anmelden. „Das ist Quatsch“, findet Wolf-D. Gramatke: „Kreativität wird es immer geben.“ Denn auch der schwer durchkommerzialisierte Musikmarkt lebt bekanntlich von seinen Nischen: Neben den fünf Großkonzernen, die weltweit die Schallplattenindustrie bestimmen, existiert eine große Anzahl Independent Labels – kleine Plattenfirmen, die von den Majors unabhängig produzieren, promoten und vertreiben und die durchaus mit den vielgerühmten Kleinverlagen zu vergleichen sind.
Zwar stehen auch diese Firmen unter Druck, die Konzentration auf dem Markt nimmt immer weiter zu, und die Unabhängigen können mit den Marketing- und Produktionsetats der Großfirmen natürlich nicht mithalten. Dafür denke man sich eigene Strategien aus, wie man sich auf dem Markt behaupten kann, erklärt Constanze Brockmüller vom Berliner Label Kitty-Yo: „Während die großen Firmen einzelne Interpreten pushen können, müssen wir halt mit einem Labelprofil überzeugen.“ Mail-order, Internet-Präsenz und natürlich viel Überzeugungsarbeit beim Handel gehören immer dazu. Man sucht allerdings auch den direkten Kontakt zu den vielgescholtenen Großmärkten und hat auch vor den berüchtigten Sonderkonditionen, mit denen die großen Ketten die Einkaufspreise drücken, keine Angst: „Das sind zum Teil ganz interessante Angebote.“
Im Gegensatz zum gewichtigen „Kulturgut Buch“ war die Schallplatte schon immer ein schnellebiges Massenprodukt mit deutlichem Warencharakter. Die Akteure auf dem Musikmarkt tragen darum weniger Ballast mit sich herum: Wenn sie zum Beispiel eine Charts-Kompilation über die deutschen McDonald's-Filialen vertreiben lassen, müssen sie sich nicht sofort damit auseinandersetzen, den Ausverkauf der abendländischen Kultur zu betreiben. Sich neuen Marketingstrategien zu öffnen – es muß ja nicht gleich eine Fast-food- Kette sein –, fällt dem Buchmarkt aufgrund seiner Traditionen und seines Selbstverständnisses erheblich schwerer. Dabei ginge es auch anders: Wer das sorgsam gepflegte Selbstmitleid von deutschen Klein- und Großverlegern kennt, kann den kreativen Optimismus bei den Mitarbeitern von Independent- Firmen nur bewundern – und zur Kenntnis nehmen, wie sich offenbar sehr wohl ein künstlerisch anspruchsvolles Labelprofil mit der Tatsache verbinden läßt, daß man seine Produkte irgendwie ja auch verkaufen muß.
Ähnlich beim Einzelhandel: Auch Bodo Bochnig und seine Kollegen halten sich nicht allein an das Jammern, sondern leisten Profilarbeit. Seit vier Jahren besteht innerhalb des GdM ein „Aktivkreis“ von etwa 220 Schallplattenhändlern, die sich im Februar vergangenen Jahres dann zur selbständigen Solidargemeinschaft „Active Music“ zusammengeschlossen haben. Man gibt eigene Magazine heraus, entwickelt Marketingkonzepte und versucht Standards zu setzen, an denen Fachgeschäfte sich messen lassen sollen: Mit sachkundiger Beratung, ordentlichem Bestellservice und Sortiment will man sich von den CD- Abteilungen der Kaufhäuser absetzen. Warum sollten nicht auch die vielgepriesenen kleinen Buchhandlungen einmal darüber nachdenken, wie sie attraktiver für ihre Kunden werden könnten – um sich so in einer veränderten Verkaufs- und Distrubitionslandschaft zu behaupten?
Zeit, daß alle Beteiligten am Buchmarkt sich darüber klar werden, was sie demnächst zu tun gedenken. Denn auch wenn Staatsminister Naumann bei der EU noch eine Schonzeit heraushandeln und seinen Regierungskollegen den angekündigten Steuerzugriff auf die Verlagssortimente ausreden kann – früher oder später wird die Gattung Gutenberg das Kulturschutzgebiet verlassen müssen. Vom Musikmarkt und seiner Mischung aus Kreativität und Hauruck-Marketing könnten sich lernen lassen – ohne aus dem Buch gleich eine „Schleuderware“ zu machen. Der erste Schritt in Sachen Nachhilfe ist bereits getan: In zwei Wochen trifft sich der Börsenverein des deutschen Buchhandelns schon mal mit Vertretern von „Active Music“.
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