: Leistungsschau als beliebte Entschuldigung
■ Mit dem Motto Lieber zu kalt als zu warm verneigt sich die Hamburger Independent-Mafia und zwei Auswärtige zum Jahresabschluß vor ihrem Urvater Alfred Hilsberg
Tradition – das kommt davon. Der Zeitraum „zwischen den Tagen“ scheint für die Pflege des Brauchtums ganz besonders geeignet. Jedenfalls gilt das für die hiesige Independent-Mafia. Deren alljährliche Leistungsschau zählt seit bald zwanzig Jahren zu den liebgewonnenen Entschuldigungen, sich vom elterlichen Gabentisch loszueisen, um sich noch schnell vor Jahresultimo mit ein paar kruden Vibes zu verwöhnen.
„Lieber zu kalt als zu warm“ – das diesjährige Motto verneigt sich folgerichtig zunächst einmal vor Alfred Hilsberg. Der Urvater des Hamburger Undergrounds wird 1999 den 20. Geburtstag seines ZickZack-Labels feiern. „Lieber zuviel als zu wenig“ – die Firmenphilosophie bewahrte so manche Band vor dem Vergessen. Als da wäre: Licht. Das Projekt der Semi-Legende Ingo Koglin flackerte bereits vor fünf Jahren, danach wurde es sprichwörtlich dunkel um den Freestyle-Songwriter. In Begleitung der Brüllen-Säge Kristof Schreuf soll nun neu gezündelt werden.
Für musikalische Wärme werden demnächst eher Kante sorgen. Was also war noch mal Post-Rock? Natürlich verbitten sich die Hamburger die Antwort nach musikalischen Standorten. Dafür werden zitiert: Sun Ra und Soft Machine und irgendwie auch Ton Steine Scherben. Ein guter, da freier Ansatz. Ähnlich ungebunden geben sich Kerstin Grether und Bernadette Hengst, die aus eigener Feder die vorlesungsfreie Zeit mit „Erzählungen nicht über, sondern aus Musik“ zu überbrücken suchen.
Doch „Schluß mit Unlust!“ und „Scheiß auf Tradition!“ Die beiden zugkräftigsten Namen an diesem Abend kommen weder aus Hamburg noch gehören sie irgendeiner Schule an. Fuschimuschi und Erobique zeigen, wie man ohne Kopfschmerzen die Festtage übersteht. Wobei der schwergroovende „phunk“ von Fuschimuschi den Vergleich mit dem Alt-Bier ihrer Heimatstadt Düsseldorf nahelegt: dunkel, süßlich und leicht im Abgang.
Carsten Meyer alias Erobique hat's da leichter. Ihn lieben alle, denn der Münsteraner machte mit seiner improvisierten Orgeldisco dieses Jahr an jeder Steckdose halt. In kleinen Läden ist dann regelmäßig die Hölle los. Der Markthalle sei demnach der Einzug von Zwischendecken empfohlen.
Michael Hess So, 27. Dezember, 21 Uhr, Markthalle
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