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Pferde preschen, Seelen singen

Auf daß das Gute obsiegt: Bei den religiösen Spektakeln im Metropolis und 3001 kommen die weihnachtlichen Gefühle schon mal aus dem Wok  ■ Von Santa Rohlf

Zwischen den Jahren“: Was soll in diesen wenigen Tagen nicht alles erledigt oder gekittet werden. Liegengebliebene Steuererklärungen, verstopfte Abflußrohre und zerrüttete Freundschaften zum Beispiel. Alle Welt scheint fest zu glauben, daß während der Tage zwischen Jesu Geburt und Jahresfeierabend die Worte weiser und die Gedanken klarer werden. Viel Platz für vernachlässigte Ideale stellt sich da ein, nur wer soll's richten? Die Traum- und Schaumwelt des großen Kinos natürlich, die Sphäre, in der Helden wie Ritter für Sinn und Seele auftreten. Klar, bloß nichts Profanes im Stil eines dieser aufgeblasenen High-Tech-Baller-Knaller, in denen mimische Super-GAUs wie Wesley Snipes oder Jean-Claude Van Damme die Welt retten, soll es sein. Nein, da müssen schon Poesie und die Meilensteine der Kinogeschichte ran, die Werke, die immer schon da waren.

Die ehrenwerten Hamburger Kinos 3001 und Metropolis klotzen in diesen notorisch nostalgischen Zeiten mit den Klassikern der Filmkunst. Und das sind oft Visionen, die von Parallelwelten erzählen, in denen zeitlose Probleme illusionär verpackt werden. Jean Cocteaus Orphée von 1949 zum Beispiel verlegt die Orpheus-Saga ins Paris der vierziger Jahre, um dort einen Dichter (Jean Marais), der nach seiner Frau sucht, die Reiche des Todes und eigener Vorstellungskraft durchqueren zu lassen. Und in Fritz Langs Zukunftsgemälde Metropolis aus dem Jahr 1926 treffen einmal mehr Dämonie und Wissenschaft aufeinander. Wie soll bei einem solchen metaphysischen Crash die menschliche Würde gerettet werden? Klavierbegleitung ist am Ersten Weihnachtstag im gleichnamigen Kino selbstverständlich, denn an solchen Tagen hat einer wie der Haus-Pianist Werner Loll natürlich Hochbetrieb.

Eine Weihnachtsgeschichte der antiken Art ist das Sandalen-Epos Ben-Hur, das William Wyler 1959 in Szene gesetzt hat. Charlton Heston ist darin weit mehr als ein römisch-rasender Racheengel. Als Judah Ben-Hur eint er Verrat und Wiedergeburt der christlichen Werte in sich – auf daß das Gute obsiegt. Und je schneller die Pferde in der legendären und unendlich langen Renn-Szene lospreschen, desto mehr steigert sich der Zuschauer in einen nachgerade religiösen Rausch. Prima Spektakel, aber gottesdiensttauglich. Der Herr sieht es und ist zufrieden. Wenn bei den besinnlichen Szenen im Publikum die Tränen fließen, darf auch die eine oder andere für die traurige Tatsache verdrückt werden, daß vor kurzem das traditionsreiche Savoy-Theater seine Pforten schließen mußte. Der Filmpalast am Steindamm ist gleichsam mit Ben-Hur großgeworden.

Doktor Schiwago, den der aufs Monumentale abonnierte Engländer David Lean 1965 erschuf, und Ernst Lubitschs unvermeidliche Winter-Komödie Ninotschka von 1939 tragen den guten, warmherzigen und vor allem romantischen Russen im Herzen. In ersterem spielt Omar Sharif einen heißblütigen wie dichtenden Arzt, in letzterem gibt Greta Garbo die langsam auftauende Genossin. In der ersten Hälfte von Ninotschka zieht sie ein Gesicht, als sei ihr Herz gefroren, aber als sie in der zweiten das erste mal lächelt, da schmelzen alle dahin. Rußland ist nach der Oktoberrevolution zerrissen, aber die Garbo und der Sharif suchen trotzdem ihr Glück und Seelenheil.

Weitaus härter und anfangs auch unversönlicher wirkt da David Lynchs Der Elefantenmensch. In dem wunderbar fotografierten Schwarzweiß-Drama von 1980 steht der körperlich entstellte Merick im Mittelpunkt unterschiedlicher Werte- und Wahrnehmungsformen aus Voyeurismus, Ekel und Nächstenliebe. Rettung scheint nur der gute Arzt Dr. Treves (John Hurt) zu versprechen. Die Vier Geschichten über fünf Tote hingegen bestechen durch eine ästhetische Form von norddeutscher Lakonie. In Lars Büchels Flachland-Film aus dem Jahr 1997 können eben erst Verstorbene vom Himmel aus per Fernrohr ihre eigene Beerdigung mitverfolgen und erleben so die verschiedenen Arten von echter Trauer und Heuchelei. Ein Thema, das die Killerin ohne Namen in Patrick Leungs 96er Thriller Beyond Hypothermia nicht sonderlich interessieren dürfte. In dem Hongkong-Action-Knaller des John-Woo-Schülers tötet die Schönheit ohne Frage und ohne Reue. Bis sie den lieben Nudelsuppenverkäufer Long kennenlernt. Weihnachtliche Gefühle aus dem Wok, sozusagen.

Orphée: Fr, 25., 21.30 Uhr; Mo, 28., 17 Uhr; Di, 29., 17 Uhr; Mi, 30. Dezember, 21.15 Uhr, Metropolis. Metropolis: Fr, 25. Dezember, 19 Uhr, Metropolis (Klavierbegleitung: Werner Loll). Beyond Hypothermia: Fr, 25. bis Mi, 30., 16 Uhr, 3001. Vier Geschichten über fünf Tote: Fr, 25., bis So, 27. Dezember, 18 Uhr, 3001. Ninotschka: Fr, 25 bis Mi, 30. Dezember, 20.30 Uhr, 3001. Ben-Hur: Sa, 26., 17 Uhr; So, 27., 21.15 Uhr; Mo, 28., 19 Uhr; Mi, 30. Dezember, 17 Uhr, Metropolis. Doktor Schiwago: Sa, 26., 21.15 Uhr; So, 27., 17 Uhr; Di, 29. Dezember, 19 Uhr; Fr, 1. Januar 1999, 17 Uhr, Metropolis. Der Elefantenmensch: Mo, 28. bis Mi, 30. Dezember, 18 Uhr, 3001

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