"Ich singe keine Lieder, schreibe keine Bücher"

■ Gespräch mit dem Basketballtrainer Svetislav Pesic über Europaliga, NBA, den Nachwuchs, gute Defense, idealen Basketball und Linkshänder

taz: Herr Pesic! Wie viele Linkshänder braucht eine Basketball-Mannschaft?

Svetislav Pesic: Linkshänder? (lacht) Ich mag Linkshänder. Ich wollte einmal, daß Henning Harnisch, Teoman Alibegovic und mein Sohn Marko bei Alba zusammen spielen. Aber das ist nicht gelungen, weil Alibegovic gegangen ist, als Henning kam. Jede gute Mannschaft sollte einen Linkshänder haben. Ich habe immer Linkshänder in meiner Mannschaft gehabt. Sie bringen etwas anderes, etwas Überraschendes.

Nach Alibegovic sind noch eine ganze Menge andere wichtige Spieler gegangen, vor allem letzten Sommer. Entsprechend holprig war der Saisonstart.

Wir haben, was nicht ungewöhnlich ist beim Aufbau einer neuen Mannschaft, einige Turbulenzen gehabt. Für mich war das keine Überraschung. Ich habe mir gedacht, daß wir nicht so konstant spielen werden, aber es hat uns auch einige Siege gekostet, daß wir so viele Verletzungsprobleme vor allem zu Beginn der Europaliga hatten. Der Basketball, den wir spielen wollen, hängt sehr von der Fitneß ab. Wir müssen attackieren, wir müssen viel laufen, wir müssen Begeisterung einbringen.

Nach sieben Niederlagen wurden die letzten drei Europaligaspiele gewonnen. Was ist entscheidend besser geworden?

Die Spieler haben sich aneinander und an die Taktik gewöhnt. Wir sind fit, und dann geht's eben.

Der unerwartete Verlust von Spielern wie Obradovic, Karassew, Harnisch, Hupmann, Welp und anderen muß für einen Trainer wie Sie, der Mannschaften gern langfristig aufbaut, besonders bitter sein.

Es gibt wenige Mannschaften in Europa, die in zwei Jahren so viele so wichtige Spieler verloren haben. Auf der anderen Seite haben wir viele junge Spieler, die wie mein Sohn Marko, Jörg Lütcke oder Vladi Bogojevic schon lange da sind und für eine gewisse Kontinuität stehen. Aber man muß sich an die neue Situation in Europa gewöhnen. Es wird immer schwerer, langfristig zu planen.

Ist Ihr Konzept, auf einheimische Talente, Identifikation mit dem Verein und Loyalität zu setzen, noch zeitgemäß?

Ich bin sicher, daß wir auf dem richtigen Weg sind. Wir haben 14 Profis, davon zehn Spieler zwischen 18 und 24. Das ist ein großes Kapital. Basketball ist ein Mannschaftssport, und ich glaube, daß zumindest noch in den nächsten drei, vier Jahren Teams, die Kontinuität haben, ihre eigenen Spieler produzieren und darauf einen guten Amerikaner, einen guten Jugoslawen setzen, Spitzenresultate in Europa erreichen werden.

Sie sagen, die jungen Spieler sind ein Kapital für Alba. Sie können aber leicht zum Kapital für andere werden. Wie können Sie verhindern, daß ein Spieler, wenn er genug gelernt hat, danke sagt und verschwindet?

Unser Ziel ist, daß die Spieler sehen, daß dies ihr eigener Verein ist. Daß sie sagen, ich kann in Griechenland oder Spanien vielleicht mehr verdienen, aber ich habe viele andere Vorteile in dieser Stadt und in diesem Verein. Auf der anderen Seite: Wenn der Spieler am Ende nicht so denkt, dann paßt er auch nicht zu unserer Philosophie und soll gehen.

Der Weltverband Fiba hebt seine Ausländerbeschränkung komplett auf. Sollte man das für die Bundesliga übernehmen?

Das ist eine revolutionäre Entscheidung von der Fiba, die ich grundsätzlich sehr positiv finde. Aber ich bin der Meinung, daß wir in den nächsten zwei Jahren in dieser Sache vorsichtig sein sollten. Wir haben momentan viele junge Spieler, die Zeit brauchen, sich in der Bundesliga zu entwickeln. Bis zu den Olympischen Spielen 2000 sollten wir abwarten und dann von mir aus sagen, alles ist offen.

Wird es nach der völligen Freigabe die befürchtete Amerikanerschwemme geben?

Wenn du früher zwei gute Amerikaner hattest, warst du schon Erster. Das ist nicht mehr so. Im Moment gibt es nur drei oder vier amerikanische Spieler in Europa, die in der Lage sind, ein Spiel zu bestimmen und zu entscheiden.

Woran liegt das?

Amerika hat große Probleme mit der Qualität seiner Spieler. Und der Basketball in Europa hat sich entwickelt. Die Europaliga ist nach der NBA die zweitstärkste Basketball-Liga der Welt. Als ich noch Trainer bei Bosna Sarajewo war, damals eine der besten jugoslawischen Mannschaften, haben wir gegen gute College-Teams immer verloren. Davon kann keine Rede mehr sein. Die sechs besten Mannschaften der Bundesliga würden heute gegen die besten College-Mannschaften gewinnen oder nur knapp verlieren.

Immer mehr Europäer gehen in die NBA, manche schon sehr jung, Der 20jährige Dirk Nowitzki jetzt zum Beispiel nach Dallas, oder Predrag Stojakovic mit 21 nach Sacramento.

Stojakovic hat schon einige Jahre im Ausland und in der Europaliga gespielt. Nowitzki hat nur in Würzburg gespielt und geht direkt in die NBA. Ich glaube, daß das kein guter Weg ist. Nicht, weil ich an seinem Talent zweifle, doch er muß viel lernen, und die Frage ist, ob dieses NBA-Team die Geduld hat. Aber talentierte Jungs bringen auch Überraschungen, und er ist das größte Talent, daß überhaupt in Deutschland geboren ist. Auf jeden Fall größer als Detlef Schrempf, aber Detlef hatte den Willen, ein Spitzenspieler in der NBA zu werden und hat unheimlich viel gearbeitet. Wenn Nowitzki diesen Weg geht, kann er der beste Europäer werden, der je in der NBA gespielt hat.

Ist die Bundesliga in den letzten Jahren deutlich besser geworden?

Auf jeden Fall. Vor ein paar Jahren hat Leverkusen die drei, vier besten deutschen Spieler gekauft und noch zwei Amerikaner dazu, das hat gereicht, Meister zu werden. Heute kann Alba zwar auch die besten Spieler kaufen, aber es gibt noch zehn andere. Das Problem ist, daß wir nicht in der Lage sind, dieses Produkt Bundesliga in die Öffentlichkeit zu bringen, weil es kein Fernsehen gibt.

Wie sehen Sie die Chancen der Nationalmannschaft, sich bei der EM 1999 als eines der sechs besten Teams für die Olympischen Spiele in Sydney zu qualifizieren?

Das wird eine der stärksten Europameisterschaften aller Zeiten. Alle Verbände werden viel investieren, um mit ihrer besten Mannschaft zu spielen. Wir müssen alles unternehmen, nicht, um mit den besten Spielern, sondern mit der besten Mannschaft zu spielen. Mit einer guten, geschlossenen Mannschaft kann eine Qualität kommen, die viele andere nicht haben. Bei der EM wird Tag für Tag gespielt, und nur eine Mannschaft mit einem guten Zusammenhalt kann sich nach der überraschenden Niederlage erholen und sich nach einem Sieg sehr gut für das nächste Spiel motivieren.

Die Basketballbegeisterung bei den Jugendlichen in Deutschland ist schon seit einigen Jahren sehr groß. Wie sieht es mit dem Nachwuchs aus?

Jeder will Basketball spielen in Deutschland. Streetball hat viele junge Leute begeistert, Basketball und nicht eine andere Sportart zu betreiben. Das Problem, das wir noch nicht gelöst haben, ist Basketball in der Schule.

Müssen neue Strukturen für den Jugendbasketball geschaffen werden, um den Boom zu nutzen?

Es gibt viele junge Talente, aber das Problem nicht nur im Basketball, sondern im deutschen Spitzensport überhaupt, ist deren Förderung. Ein Weg ist das sogenannte Sportgymnasium. Das gibt es immer noch in den östlichen Ländern, aber auch zum Beispiel in Frankreich. Dort hat es viele gute Ergebnisse im Basketball, Volleyball, in der Leichtathletik gebracht. Die haben das Sportgymnasium in Paris, wo sich die besten französischen Sportler treffen, zur Schule gehen, trainieren, zusammen leben.

Genau da will Alba mit seiner geplanten Basketballakademie ansetzen.

Richtig. Wir haben uns viel vorgenommen. Unser Ziel ist, in Richtung Sportgymnasium zu gehen, allein oder mit anderen Sportarten. Die Begeisterung, die es für Basketball gibt, müssen wir nutzen, und wir sind auch verpflichtet, jungen Leuten etwas anzubieten.

Was soll genau passieren in dieser Akademie?

Wir sind nicht an denen interessiert, die nur ein bißchen Basketball spielen wollen, sondern wir sind an den Spitzentalenten aus Deutschland und ganz Europa interessiert. Wir wollen die besten Leute bei uns haben und sie sollen sich hier schulisch, basketballerisch und in ihrer Persönlichkeit entwickeln. Der zweite Punkt ist die Aus- und Fortbildung von Trainern aus ganz Europa, besonders jene, die mit Jugendlichen arbeiten. Wir wollen auch Schiedsrichter ausbilden und Funktionäre im Management. Und wir wollen die Literatur bereithalten und Lehrkassetten produzieren. Wir sind jetzt am Anfang, aber die Leute, die sich dafür engagieren, glauben, daß diese Berliner Basketballakademie die Zukunft ist.

Ist das Projekt ein Grund dafür, daß sie trotz guter Angebote in Berlin bleiben wollen?

Nicht der entscheidende. Entscheidend ist, daß ich eine Stadt gefunden habe, wo ich und meine Familie sich wohl fühlen. Wir planen, hier sehr lange zu leben. Ob ich immer Trainer bei Alba bleibe, ist eine andere Sache. Ein Trainer weiß nur, wann er anfängt, aber nie, wann er aufhört. Ich schreibe keine Bücher, ich singe keine Lieder, ich bin kein Elektriker, sondern ich bin wirklich nur Basketballtrainer. Ich lebe viel von der Motivation, und solange ich motiviert bin, bleibe ich. Die Frage ist aber auch, ob es für den Basketball in Berlin immer gut ist, daß ein Pesic da ist. Heute ist die Zeit jedoch noch nicht gekommen, daß ein anderer gebraucht wird. Glaube ich.

Kleiner Themenwechsel. Wie hat Ihnen das letzte Endspiel der Europaliga gefallen, das von Bologna gegen AEK Athen mit 58:44 gewonnen wurde?

Alle Spiele, die entscheidend sind, sind Spiele, bei denen es keine Schönheit zu genießen gibt. Es war ein sehr hartes, sehr intensives Spiel, aber es ist nicht charakteristisch für den europäischen Basketball, daß es so wenige Punkte gibt.

Aber es ist ein Problem, wenn gerade das Finale, das eigentlich eine Werbung für den Basketball sein sollte, ein eher unschönes Spiel ist.

Wir müssen viel lernen von der NBA, nicht nur vom Spiel, sondern wie die NBA verkauft wird. Sat.1 macht sehr gut Fußball. Fußball in Sat.1 ist ein Produkt, wo du nur Schönes siehst. Genauso ist es mit dem Produkt NBA in Europa. Wir sehen Ausschnitte, Dunking, Fastbreak, das beste, was es in einem Spiel gibt. Wir haben das Produkt Europaliga noch nicht verkauft. Es gibt so viele gute, attraktive Spiele, aber es gibt keine Sendung mit Ausschnitten von allen Spielen in Europa.

Von der NBA lernen könnte auch heißen, die Regeln zu ändern. Sie sind zum Coach des West- Teams beim Eurostars-Match morgen in Berlin berufen worden. Da werden neue Regeln ausprobiert wie vier Viertel à zehn Minuten, eine Angriffszeit von 24 statt 30 Sekunden, nur noch acht statt zehn Sekunden Zeit, den Ball über die Mittellinie zu bringen.

Ich finde das positiv. Das Tempo wird höher, die Defense aggressiver über das ganze Feld, es wird mehr Fastbreak gespielt, und in der Offense kann nicht so viel taktiert werden. Ich glaube, die Qualität des Basketballs wird besser werden.

Wären Sie für ein Verbot der Raumdeckung wie in der NBA?

Ich finde es interessanter, wenn Basketball viele Optionen hat. Unterschiedliche Varianten in der Defense machen Basketball attraktiver. Ich glaube nicht, daß wir alle Regeln von der NBA übernehmen müssen. Was wir übernehmen müssen, ist, wie man unser Basketballprodukt verkauft.

Phil Jackson und Michael Jordan haben letztes Jahr beim Auftritt der Chicago Bulls in Paris als größte Schwäche der Europäer immer noch die Defense genannt. Stimmen Sie den Herren zu?

Ich weiß nicht, wie gut beide den europäischen Basketball kennen. Aber ich glaube schon, daß der größte Unterschied zwischen NBA und Europa in der Defense liegt.

Worin besteht gute Defense?

Alte Regel: Mein Gegner soll nicht in Ballbesitz kommen. Wenn er den Ball hat, ist er schon im Vorteil. Für gute Defense ist es nicht genug, wie viele sagen, die richtige Einstellung zu haben und zu kämpfen. Nicht jeder kann gute Defense spielen. Für einen guten Defensespieler ist Antizipation und Intelligenz sehr wichtig. Und natürlich Konzentration. Die hast du, wenn du in guter physischer Verfassung bist.

Was ist für Sie der ideale Basketball?

Meine Philosophie im Leben und auch im Basketball ist, das Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Dem Gegner nicht die Initiative geben, sondern attackieren in der Defense und in der Offense. Viel Fastbreak spielen, einfache Punkte machen. Wenn wir einfache Punkte machen, ärgern wir unseren Gegner und wir setzen ihn so unter Druck, daß er an uns denkt, und nicht wir an ihn. Wenn uns das gelingt, gibt es eine große Wahrscheinlichkeit, daß wir am Ende auch das Spiel gewinnen.

Wie viele Raucher braucht eine Mannschaft?

Die Jungs sollen ihr Leben genießen. Wer sein Leben genießen kann, kann auch besser Basketball spielen. Aber wer die Entscheidung getroffen hat, eine Zeit seines Lebens als Basketballprofi zu leben, muß auch seine Grenze kennen, was Rauchen betrifft, was Bier betrifft, was sein Privatleben betrifft. Ich sage den Spielern oft: Ein Tag hat 24 Stunden. Theoretisch schläfst du acht Stunden, acht Stunden gibst du für Basketball. Das Problem ist, wie du die restlichen acht Stunden organisierst. Wenn du es schaffst, diese acht Stunden gut zu organisieren, dann kannst du alles erreichen.

Wenn Sie sich einen Spieler auf der Welt aussuchen dürften, wen würden Sie nehmen?

Ich mag die vielseitigen Spieler. Kukoc oder Schrempf. Interview: Matti Lieske