piwik no script img

Türkei für 66 Pfennig

■ Über 30 "Telecafes" und "Call Shops" locken in Berlin ausländische Kundschaft mit Billigtarifen. Für Ortsgespräche gelten Abschreckungspreise

Nach einer halben Stunde verläßt der Afrikaner die quietschbunte Telefonkabine. Er macht zwar keinen quietschvergnügten, dafür aber einen zufriedenen Eindruck. Der junge Mann hat mit seiner Schwester im Sudan telefoniert. „Ich bin beruhigt, weil ich weiß, daß es ihr gutgeht“, erzählt er. „Doch ich muß später noch einmal anrufen, weil meine Mutter nicht da war.“ Das zweite Gespräch kann er mit dem Geld bezahlen, das er bei dem ersten gespart hat. Denn die 30minütige Verbindung in die Heimat ist im „Call Shop“ in der Sonnenallee in Berlin-Neukölln äußerst günstig.

65,10 Mark hat der Sudanese gezahlt, inclusive 1,50 Mark Vermittlungsgebühr und einen Kaffee gratis. Mit der Telekom hätte er über 90 Mark bezahlt. „Als ich noch von meiner Wohnung aus über die Telekom telefoniert habe“, erzählt er, „hatte ich Rechnungen von 700 Mark im Monat.“ Einmal flatterte ihm für das unkontrollierte Telefonieren sogar eine Rechnung von 1.600 Mark ins Haus. „Jetzt telefoniere ich im Call Shop für etwa einhundert Mark im Monat“, erzählt er. In die Versuchung, familiäre Gespräche vom heimischen Sessel aus zu führen, kann er gar nicht mehr geraten. Denn nachdem er die 1.600 Mark-Rechnung nicht begleichen konnte, hat die Telekom seinen Anschluß gesperrt.

Möglich werden die zum Teil bis zu über fünzig Prozent billigeren Tarife für Auslandsgespräche durch Rabatte, die Großkunden von den verschiedenen Anbietern bekommen. Da werden für große Summen Einheiten im voraus gekauft, die dann abtelefoniert werden. Der Gewinn ergibt sich daraus, daß die Rabatte nur zum Teil an die Kunden gehen. Doch über die Gewinnspannen hüllen sich die Betreiber der Call Shops ebenso in Schweigen wie über Provisionen für das meist auf der Basis von 620-Mark-Jobs arbeitende Personal.

Seitdem die Telekom ihr Monopol aufgegeben hat, haben in Berlin über dreißig „Call Shops“ und „Telecafés“ aufgemacht – so viele wie in keiner anderen deutschen Großstadt. Lukrativ sind die Bezirke mit einem hohem Ausländeranteil. So gehören Kreuzberg (34,4 Prozent Ausländer), Wedding (30,2 Prozent), Tiergarten (27,6 Prozent), Schöneberg (22,5 Prozent) und Neukölln (20,5 Prozent) zu den gefragten Stadtteilen. Wo die Konkurrenz besonders groß ist, wird von „Kampfzonen“ gesprochen, in denen die Tarife zum Teil in den Keller rutschen.

Marktführer ist die Bochumer Firma Median Telecom GmbH, die seit drei Jahren auf Auslandsgespräche spezialisiert ist und ein eigenes Netz betreibt, mit dem sie weltweit Minuten verkauft. „Wir stehen auf der gleichen Stufe wie der Anbieter Mannesmann Arcor“, erzählt stolz Geschäftsführer Kai Riebetz. Das erste von 15 Berliner „Telecafés“ wurde im März dieses Jahres im Franchaising-Verfahren in Kreuzberg eröffnet. Bundesweit sind es 50 solcher Läden. Das Grundequipment gibt es je nach Größe zwischen 15.000 und 30.000 Mark – ohne Kabinen und Werbung. Der zunehmenden Konkurrenz sieht Riebetz gelassen entgegen. „70 Prozent unserer Läden laufen sehr gut“, sagt er, „30 Prozent laufen normal.“

Auf Platz 2 liegt die Firma „X.Tel“, die vor zwei Monaten ihr achtes „Call Center“ in Berlin eröffnet hat – in einer Parallelstraße zum im April eröffneten „Call Shop“ in Neukölln. Ein technischer Mitarbeiter der Firma gibt den Umsatz pro Laden und Monat mit 70.000 Mark an. Aus den 16 Telefonkabinen im „Call Center“ in der Karl-Marx-Straße dringen französische, türkische, libanesische, jugoslawische und englische Wortfetzen. Die Kundschaft ist ein Abbild der näheren Umgebung: thailändische Restaurants, türkische Brautmoden, anatolische Spezialitäten, Ceylon-Grill, Thai Live Music, Orientel Shop, Macedonian Airlines und Air Bosnia.

„Wir haben hauptsächlich Stammkundschaft“, erzählt die junge Frau am Tresen, die per Computer die Einheiten ab 59 Pfennig pro Minute für Auslandsgespräche berechnet. Mit Ortsgesprächen will man nichts zu tun haben. Damit Berlingespräche nicht die Leitungen für lukrative Ferngespräche blockieren, gibt es in einigen Läden „Abschreckungspreise“ von 50 Pfennig pro Einheit für ein Berlingespräch. Demzufolge findet man wenige Deutsche unter den Kunden.

Der „Call Shop“ in Neukölln wird vorwiegend von Afrikanern, Brasilianern und Türken frequentiert. Der absolute Preishit ist der Türkeitarif: 66 Pfennig pro Minute. Dieses Sonderangebot soll die etwa 28.000 Türken in Neukölln anlocken, die bei der Telekom 1,08 pro Minute zahlen müßten. Solche Tarife erscheinen selbst Kai Riebetz von der Median Telecom GmbH „bei legaler Steuerführung unvorstellbar“. Um „sauber“ zu arbeiten, müsse man mindestens 79 Pfennig pro Minute verlangen, sagt der 29jährige. Derlei Superbilligangebote sind Ausdruck des hart umkämpften Marktes. „Absoluter Preiskampf ist angesagt“, sagt Bernhard von Schwarzenfeld von der Firma Global Minutes Telecom GmbH, die Lizenzen für Läden wie den „Call Shop“ ebenfalls im Franchaising-Verfahren zwischen „paar tausend Mark und 40.000 Mark“ vergibt. „Der Druck ist enorm groß.“ Nach Einschätzung des 36jährigen ist der Berliner Markt gesättigt. Es sei damit zu rechnen, daß kleinere Anbieter das kommende Jahr nicht überleben.

Barbara Bollwahn de Paez Casanova

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen