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„M“ wie Millennium...

...oder Millionen oder Masse oder... Während die einen fröhlich feiern, denken andere über die nächste Silvesterfete nach  ■ Von Philipp Gessler

Was ist perverser: die Aktion, die der Berliner Simon Traston für die Jahrtausendwende plant, die biedere Erscheinung des Steglitzers, die so gar nicht so zu seinem Vorhaben paßt – oder die Unsicherheit, ob das alles nicht erlogen, gar erstunken ist?

Simon Traston, 69, ist ein gepflegter weißhaariger Mann mit Vollbart, schwarzer eckiger Brille und heute gekleidet in schwarzem Hemd, lila Jackett und bunter Krawatte. Er sieht nicht nur aus wie ein Postbeamter, er war es auch lange – ebenso wie Versicherungskaufmann, Nachtwächter, Hilfsarbeiter... Er begreift sich jedoch als „freier Schriftsteller“. Traston hat eine Passion: Toiletten. Bereits zwei Bücher hat er über Klosprüche geschrieben (das letzte ist im Eichborn-Verlag erschienen). Sein für die Jahrtausendwende geplantes „Happening“ hat mit Toiletten zu tun und mit seiner zweiten Leidenschaft: Sex. Die Mehrzahl seiner sechs Werke befaßt sich damit. Traston hat, so erzählt er, etwa 300 Türen und Trennwände aus der alten DDR gesammelt, sein Schwager, ein Abbruchunternehmer, hat sie für ihn gerettet, nun lagern sie an einem geheimen Ort „im weiteren Umfeld Berlins“.

Trastons Aktion in der Silvesternacht 1999: Er will die Klotüren aneinanderstellen und Schwule und Bisexuelle einladen, sich paarweise vor und hinter der dann etwa 300 Meter langen Wand zu gruppieren. Durch die „etwa 500 Löcher“ in den Klotüren könnten sich dann die Paare sexuell aneinander erfreuen.

Für dieses „Kunst-Happening“ brauche er etwa 1.000 Akteure, die er durch Mund-zu-Mund-Propaganda und Werbung in einschlägigen Lokalen oder Magazinen rekrutieren will. Außerdem hofft er auf die Unterstützung von Kunst- und Erotik-Museen – über die Kosten der Sexaktion schweigt er sich aus. Eintritt will Traston nicht verlangen, aber versuchen, mit Einwilligung der Agierenden, über den Verkauf von Ton- und Bildaufnahmen des Ereignisses die Kosten wieder reinzukriegen.

Traston, nach eigenen Angaben heterosexuell veranlagt, höchstens „latent homoerotisch“ und verheiratet, will sich „wenn, dann nur voyeuristisch“ an der Massenorgie beteiligen. Seine Frau sehe das „amüsiert“, habe auch Verbesserungsvorschläge gemacht. Das Ziel der Aktion sei „Spaß und Vergnügen“ und „etwas mehr Freiheit“. Das Happening sei „nur die Konsequenz“ aus seinem Interesse am Klosprüche-Sammeln. Und die Silvesternacht '99 „der Höhepunkt von einem Jahrtausend ins andere“, ein „Kulminationspunkt“.

Auf ganz andere Art bereitet sich Willy Edwin Kausch auf die Jahrtausendwende vor – aber auch was er macht, wird in Berlin zur Freude oder zum Ärgernis von Hunderttausenden in dieser Nacht führen. Denn der Betriebswirt ist Geschäftsführer der Agentur „Silvester in Berlin Veranstaltungen GmbH“, die im Auftrag der Stadt schon seit Silvester 1995 die zentralen Feiern am Brandenburger Tor organisiert und vermarktet.

Von seinem Büro neben dem Berliner Dom blickt der 42jährige auf das Marx-Engels-Forum. Müde ist er, denn sein Tagesablauf „ist beschissen“: Bis 24 Uhr müsse er jeden Tag arbeiten, so viel gebe es zu tun. Als Chef der K.I.T. GmbH, eines 30köpfigen Unternehmens, das vor allem Kongresse organisiert, kümmert er sich die letzten fünf Monate eines Jahres nur noch um die Organisation der Silvester-Feiern. Erste Planungen für die Millenniumsfeier habe er schon vor fünf Jahren begonnen.

Kausch erwartet zur Jahrtausendwende etwa eine halbe Million Menschen auf seiner Festmeile. Sie soll von der Siegessäule über das Brandenburger Tor bis zum Alexanderplatz reichen und vom Gendarmenmarkt die Friedrichstraße hoch bis zur Oranienburger Straße. Alles soll frei zugänglich und eintrittsfrei sein, nur am Pariser Platz, direkt vor dem Brandenburger Tor, werde es „operative Sperren“ geben – auch dort nicht, um Eintritt zu verlangen, wie Kausch betont. So könnte eine Überfüllung des Areals vermieden werden, denn im Laufe der Nacht kommen jeweils nur so viele Menschen auf den Platz, wie ihn auch wieder verlassen.

Auf insgesamt 15 Bühnen sollen jeweils etwa drei Bands spielen. Der Strombedarf wird dem eines Abends in einer 60.000-Einwohner-Stadt gleichen: 20 Kilometer Stromkabel werden verlegt, 800.000 Meter Licht- und Tonkabel. Rund 1,5 Millionen Watt werden allein für die Illumination benötigt, eine Million Watt für die Bühnen, noch mal eine Million für die Tonanlagen. Etwa 2.000 Mitwirkende (Ordner, Lichttechniker etc.) werden gebraucht, allein der „engere Organisationsstab“ wird 120 Leute umfassen. Zwischen 800 und 1.000 Toiletten werden gebraucht, denn wenn zum Beispiel 50 Leute die Toiletten des Hotels Adlon stürmen, sei das „kein schönes Bild“, meint Kausch.

„Keine müde Mark“ erhalte er dafür von der öffentlichen Hand, das Geld müsse durch Sponsoring und Werbung hereinkommen. Vorsichtig geschätzt, wird die Millenniumsfeier 12 Millionen Mark kosten – bisher habe er etwa 5 Millionen sicher, was ein Jahr vor dem Ereignis „kein schlechtes Ergebnis“ sei. Ob sein Gewinn an dem Ereignis in zusätzlichen Sponsoreneinnahmen liegt, läßt Kausch etwas im unklaren. Frühe Planung ist alles.

Dieses Silvester wird für ihn eine Generalprobe für die Millenniumsfeier. Danach, so hat er sich vorgenommen, wird er erst mal Urlaub mit seinen Söhnen machen – und für die Organisation von Großereignissen hat er sich auch schon etwas vorgenommen: „auf jeden Fall nicht mehr Silvester“.

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