Couchpotato's Fernsehjahr

Das TV-Geschehen 1998: Notiert, sortiert und alphabetisch eingemottet  ■ von Harald Keller

Ally McBeal – Vox fegte die unter qualitätsbewußten Fernsehnutzern wohlgelittene Serie kurzerhand wieder aus dem Programm – wegen unzureichenden Zuschaueraufkommens. Doch siehe, die Kölner Missetäter erhielten Protest-E-Mails sonder Zahl. Und wer entsprechend Vorsorge getroffen hatte, wurde von wildfremden Menschen bestürmt, die mitgeschnittenen Episoden doch bitte schleunigst weiterzureichen. Also wenn das nicht auf Nachfrage schließen läßt...

Blümchen – Kaum hatte es bei der „Mini Playback Show“ Wurzeln geschlagen, wurde das junge Gemüse auch schon wieder weggerupft. Vielleicht findet sich ein Plätzchen in der ARD – auch Ulla Kock am Brink und Reinhold Beckmann konnten sich dort von früheren Show-Mißgeschicken erholen. Zumindest in finanzieller Hinsicht.

Comedy – Früher gingen arbeitslose Lehrer auf die Straße. Um zu jonglieren oder „Clown Power“ zu propagieren. Heute nennen sie sich Comedians, arbeiten beim Fernsehen und verdienen um ein Vielfaches mehr als ihre Kommilitonen, die eine feste Stelle abbekommen haben. Das System funktioniert.

Docu-Soap – Jüngste Novität im deutschen Fernsehen. Zugleich Widerspruch in sich: Eine Soap folgt gewissen dramaturgischen Gesetzmäßigkeiten, das wahre Leben eher nicht. Darum sind Soaps ja um so vieles erbaulicher.

Events – Alle paar Monate findet die Medienbranche ein neues Modewort, das auf Kongressen und Podien zerredet und dann für immer abgeheftet wird. Vorher taucht es aber noch mal in den Publikationen des ZDF auf. Das Auslaufmodell „Event“ hatte sogar Folgen: „Eine neue Event-Redaktion wird die Leistungsstärke und die Professionalität des ZDF unter Beweis stellen“, verhieß Programmdirektor Schächter. Der zuständige Redaktionsleiter Grötz hat das Showbusiness quasi im Blut: Er studierte Philosophie, katholische Theologie, Germanistik und Pädagogik.

Fischer, Otfried – Der eklatante Mangel an brauchbaren Conférenciers äußerte sich aufs widrigste in der Tatsache, daß diesem schnaufenden Schlachtroß eine Samstagabendshow aufgebürdet wurde.

Grand Prix Eurovision de la Chanson – „Guildo Horns Sieg bei der Vorentscheidung zum Grand Prix war ein Signal, wenn nicht Fanal, denn er schürte die Ahnung, daß Veränderungen möglich sind. Dieses Ereignis wird als Auftakt zur Ablösung Kohls in die Geschichte eingehen.“ Wo stand das noch mal? Ach richtig, hier, auf der Seite der geistesgegenwärtigen Fernsehnutzer. Im übrigen wurde der Grand Prix durch Horn, unter Zuhilfenahme der Bild- Zeitung, wieder zum vielgesehenen Fernsehereignis, vulgo „Event“. Aber ob das 1999 noch einmal klappt? (Neulich flatterte in einer deutschen Sendeanstalt eine Notiz vom Schreibtisch. Darauf stand: „Mal bei den Ärzten anfragen.“)

Herzog, Roman – Geißelte im Rahmen der „Mainzer Tage der Fernsehkritik“ die Bevorzugung junger Zuschauer. Völlig unnötig. Ein kleiner Ruck mit dem Finger auf der Fernbedienung, und man hat die seniorenorientierten Sender ZDF oder MDR auf dem Schirm. Im übrigen bot auch Sat.1 einer Gruppe von über Fünfzigjährigen namens Rolling Stones ein hinreichendes Forum. Hingegen bekam das junge Publikum infamste Mißachtung zu spüren, als man ihm „Ally McBeal“ entzog.

Inkonsequenz – „Für alle Fälle Fitz“ wurde seinerzeit vom ZDF vorsorglich gekürzt; inzwischen aber läßt derselbe Sender den Titelhelden der barbarisch schlechten Radauserie „Conan“ bereits zur Kaffeezeit Hälse schlitzen und Bauchdecken aufschlagen. Als ob es in Hollywood nicht auch gewaltfreie Serien wie „Ally McBeal“ zu kaufen gäbe.

Jahressieger – ...droht die ARD zu werden. Vor allem der Fußballerei wegen. So kann man doch nicht wirklich von eigenständiger Leistung reden, auch wenn das Selbstlob noch so schwappt in diesen Tagen.

Kachelmann, Jörg – ...und Hans-Joachim Kulenkampff haben drei Dinge gemeinsam: Den ersten Buchstaben ihres Nachnamens. Beide moderierten mal die Sendereihe „Einer wird gewinnen“. Und beide traten anno '98 ab.

Legenden – Stephan Derrick (und es gibt immer noch Schlauberger, die ihn „Stefan“ schreiben) veränderte sich aufs Altenteil und wird auf ewig in Erinnerung bleiben mit Sätzen, die er nie gesagt hat, wie dem ab sofort mit Zitierverbot belegten „Harry, fahr den Wagen vor“. Wohl aber deklamierte der Sprachmagier prunkende Gebilde der nachstehenden Art: „Harry, die Wagen sollen sich fertig machen.“

Meyer, Ulrich – Der unwiderstehliche Sat.1-Nachrichtensprecher mit den köstlichen Späßen räumte seinen Ankerplatz, nachdem er durch praktische Vorführung den weitverbreiteten Irrglauben widerlegt hatte, Fernsehnachrichten seien objektive Nachrichten. Zum Abschied erklingt daher ein dreifach donnerndes „Georgia on my mind“.

Nachrichtenulk – „Die Wochenshow“ läuft bald bei Sat.1 rund um die Uhr und wird nur noch gelegentlich von der „Harald Schmidt Show“ unterbrochen.

Obenrum – Alle schrägen Vöglein fliegen hoch in der Sat.1-Serie „HeliCops“. Und schaffen es doch niemals bis rauf aufs Niveau vergleichbarer US-Produktionen.

Pate, Der – RTL nahm Abschied von Helmut Thoma. Wie gern erinnern sich erfahrene Fernsehnutzer an jene wilden Jahre, als es noch „Dall-As“ gab und Axel Thorers Krawall-Talk, „Männermagazin“ und Hella von Sinnens „Alle Nichts Oder?“, Heavy- Metal-Sendungen und den auf höchster Metaebene herumkobolzenden Horst Brack mit seiner Wrestlingshow „Catch Up“. Seufz.

Quivive – Auf dem waren ganz und gar nicht die Initiatoren des Wetterkanals. Nach der überfälligen Kanalreinigung herrschte bald wieder Verstopfung: Wer um Himmels willen braucht das flirrende Bilderrätsel namens „Bloomberg TV“?

Reiter, Udo – Wollte den kleinen ARD-Sendern ans Taschengeld. Rekapitulieren wir mal die Programmgeschichte von Radio Bremen. Hier debütierten oder schliffen ihre Begabungen: Rudi Carrell, Bruno Jonas, Hape Kerkeling, Harald Schmidt, Margarethe Schreinemakers, Jörg Wontorra; hier arbeiteten Mischka Popp und Thomas Bergmann, Gero Gemballa und Wilfried Huismann, hier erfand man den „Beat- Club“ und „III nach neun“. Was aber fällt uns zu Reiters MDR- Rundfunk ein? – Eben.

Springfield Story – Bei all den Jubiläen, Geburtstagen und Abschiedsvorstellungen wenig beachtet: Im August zeigte RTL die 3.000. Folge der seit 1937 zunächst im Radio, später im Fernsehen erfolgreichen Endlos-Soap. „Ally McBeal“ hingegen kam in Deutschland leider nur bis Folge 7.

Tatort – Der SFB-Tatort „Ein Hauch von Hollywood“ wurde seitens der ARD wegen reinweg erhabener Unzulänglichkeit auf den späten Montag abend verbannt. Fraglich allein, warum mit früheren SFB-Tatort- Beiträgen nicht ebenso verfahren wurde. Vielleicht sammeln die ARD-Anstalten mal ihre Rohfilmreste und spenden diese den darbenden Berliner Kollegen, damit die mal wieder Filme statt Dreigroschenvideos drehen können.

Unbegreiflichen, Die – Zu einer Art Schnitzeljagd entwickelte sich die Suche nach der von Pro7 fortwährend annoncierten und stornierten, verschobenen, umgetopften und wenn überhaupt, dann unter hochgradig konspirativen Umständen übermittelten Serie „Die Unfaßbaren“. Selbst altgediente Fernsehnutzer mußten sich geschlagen geben. Sage noch einer, es gehe in diesem Geschäft immer nur um die Quote.

Vorsicht, Kamera – Die vergebliche Suche nach neuen Show-Ideen hat dieses Land in einen Überwachungsstaat verwandelt – kaum ein Sender, der nicht telegene Fallenstellerei betreibt. Das ist mitunter lächerlich, aber selten witzig. Im Gegensatz zu der höchst humorigen Sitcom „Ally McBeal“. Die aber wurde leider abgesetzt.

Wechsel 98 – RTL-Kommissar Balko bekam einen neuen Kopf, mußte dafür ein Gutteil witzsprühender Dialoge opfern und mehr Auto-Crashs vollführen. Unversehens aber herrschte große Konfusion: Plötzlich war der alte Balko mit den spärlichen Haaren wieder da. Gewissenhafte Fernsehnutzer freilich wußten: Es handelte sich um Wiederholungen.

Xenoglossie – Das unbewußte Reden in einer unbekannten Fremdsprache (mit anderen Worten: Trappatonisch) war einer der größten TV-Hits des Jahres. Sehr viel pfleglicher gehen die Autoren der US-Serie „Ally McBeal“ mit der Sprache um. Aber die wurde ja leider gecancelt.

ZDF – Zeigte drei Ed-McBain-Verfilmungen in Reihe, und zwar die erste Episode, die die Figuren einführt und Hintergründe erläutert ... wann? Aber ja: als letzte. Bei dieser Anstalt muß man fortwährend mit EVENTualitäten rechnen.