Pakistans Scharia-Krieg bringt Blutbad in Moschee

■ 16 Schiiten bei Anschlag auf Moschee getötet. Polizei verdächtigt militante Sunniten

Berlin (taz) – Bei einem Anschlag auf eine Moschee in der ostpakistanischen Provinz Punjab sind gestern 16 schiitische Gläubige erschossen und mindestens 25 verletzt worden. Acht Opfer waren sofort tot, die anderen starben auf dem Weg ins Krankenhaus. 13 Verletzte schweben nach Polizeiangaben noch in Lebensgefahr. Der Anschlag ereignete sich im Dorf Karam Dad Qureshi, 35 Kilometer östlich der Stadt Multan.

Nach Augenzeugenberichten schossen mindestens vier bewaffnete Männer von Motorrädern aus auf die Moschee, in deren Hof gerade hundert Gläubige ihr Morgengebet beendeten. Anderen Berichten zufolge drangen zwei Attentäter in die Moschee ein und schossen auf die Gläubigen, während ein dritter am Ausgang und ein vierter in einem Fluchtwagen warteten. Die Verwundeten riefen über die Lautsprecher der Moschee um Hilfe.

Zu dem Anschlag hat sich bisher niemand bekannt. Die Polizei vermutet militante Sunniten als Täter. 80 Prozent der pakistanischen Bevölkerung sind Sunniten. Im Punjab liefern sich seit Jahren sunnitische und schiitische Extremisten einen Kleinkrieg. Ihm fielen in den vergangenen zwei Jahren rund 200 Personen zum Opfer. Auf der radikal-sunnitischen Seite kämpfen die „Wächter der Freunde des Propheten“ (Sipah-e-Sahaba), die gewaltsam islamisches Recht in seiner sunnitischen Variante auch für Schiiten durchsetzen wollen. Diese müßten dann zum Beispiel eine Armensteuer zahlen, von der sie bisher ausgenommen sind. Als Hauptgegenspieler auf der schiitischen Seite gilt die „Gruppe für schiitisches islamisches Recht“ (Tehrik-i-Jafria). Sie strebt die Einführung der „Jafria“ genannten schiitischen Variante des islamischen Rechts an.

Die Sunniten werfen dem Iran vor, die militanten pakistanischen Schiiten zu untersützen. Die Schiiten ihrerseits beschuldigen Saudi- Arabien, radikale Sunniten zu fördern. Erst vor zwei Wochen waren vierzehn Extremisten beider Glaubensrichtungen von einem Sondergericht zum Tode verurteilt worden. Darunter waren acht Sunniten, die im Februar 1997 bei einem Anschlag auf das iranische Kulturzentrum in Multan acht Menschen getötet hatten.

Eher unwahrscheinlich ist, daß es zwischen dem gestrigen Anschlag auf die Moschee und dem Bombenanschlag bei Lahore am Vortag einen Zusammenhang gibt. Nach Regierungsangaben galt die Sprengung einer Brücke Premierminister Nawaz Scharif, der sie ursprünglich zur Tatzeit passieren wollte, aber verspätet war. Bei dem Anschlag wurden vier Personen getötet. Scharif sprach von einer „Verschwörung“ gegen Pakistan und kündigte eine Fortsetzung des Kampfes seiner Regierung gegen den Terrorismus an.

Auch zu dem Anschlag bekannte sich niemand. Die Polizei machte zunächst die Muttahida-Qami- Bewegung (MQM) verantwortlich. Die Organisation aus Indien eingewanderter Muslime war mit Scharif verbündet, wird inzwischen jedoch von ihm für die Gewalt in der Hafenstadt Karachi verantwortlich gemacht. Die MQM-Führung hat den Bombenanschlag verurteilt. Sie befürchtet, er könne ein Vorwand für die Verfolgung ihrer Organisation sein. Die Polizei verdächtigt inzwischen zwei der bei dem Anschlag Getöteten der Tat. Sven Hansen