: Strahlenkrankheit über Generationen
Aktualisierte Studie zur Wiederaufarbeitung deutscher Atombrennstäbe im Ausland zeigt: Wenn die Pläne der AKW-Betreiber ungestört weiterlaufen, kommen mindestens 60.000 bis 80.000 Menschen zu Schaden ■ Von Reiner Metzger
Berlin (taz) – Jahrelang hat die Studie in der Schublade geschlummert, nun stehen die ersten Teile in einer aktualisierten Version im Internet: Unter der Leitung des Nuklearmediziners Professor Horst Kuni hat die Uniklinik Marburg abgeschätzt, welche Schäden die Wiederaufarbeitung deutscher Brennelemente im Ausland verursacht. Grobes Ergebnis: In der ersten, derzeit lebenden Generation kommen in einem Radius von 3.000 Kilometern um die Anlagen in La Hague, Frankreich, und Sellafield in Großbritannien rund 10.000 Menschen zu Schaden – das heißt, sie werden an Krebs leiden oder genetische Veränderungen an ihre Nachkommen vererben.
Die Autoren der Studie haben auch für die künftigen Jahrtausende hochgerechnet. Über alle Generationen gemittelt ergibt sich dabei eine Zahl von 60.000 bis 80.000 Personenschäden. Dabei wurde angenommen, daß sich die Weltbevölkerung bei 14 Milliarden Menschen einpendelt.
Einer solchen Rechnung liegen naturgemäß zahlreiche Annahmen zugrunde. Zuallererst die Menge des in La Hague oder Sellafield aufgearbeiteten Urans und Plutoniums aus den Brennstäben. Hier nahmen die Autoren der Studie die derzeit laufenden Verträge (3.832 Tonnen, davon etwa 1.000 Tonnen noch nicht abgearbeitet) sowie die Mengen, für die eine Option besteht (3.315 Tonnen). Wenn die Wiederaufarbeitung also nicht gestoppt wird, werden in den nächsten Jahren insgesamt 7.174 Tonnen wiederaufgearbeitet.
Starke Schwankungen zeigen Forschungsarbeiten auch bei der Geschwindigkeit, mit der die radioaktiven Stoffe über die Abwasserleitungen der WAA ins Sediment am Meeresgrund eingelagert werden und damit erst einmal aus der Nahrungskette verschwinden. Genauso die Wahrscheinlichkeiten, mit denen bei einer bestimmten aufgenommenen Strahlungsmenge – der sogenannten „Kollektivdosis“, gemessen in Sievert – dann Krebsfälle oder Erbgutveränderungen auftreten.
„Wir haben dabei immer mit den offiziellen Faktoren gerechnet“, so Horst Kuni gestern gegenüber der taz. Die stammen von den amtlichen Strahlenschutzkommissionen, die ja im allgemeinen nicht als Panikmacher und eher als Untertreiber eingestuft werden. Die hohen Schadenszahlen führten auch zu Meinungsverschiedenheiten mit dem Auftraggeber der ursprünglichen Studie vom Jahr 1990, dem Hamburger AKW-Betreiber HEW, so daß es nicht zur Veröffentlichung kam.
Ganz anders sieht die WAA- Branche die Gefährlichkeit ihres Tuns: Der La Hague-Betreiber Cogema wird ab heute in Zeitungen für die Aufbereitung von Kernbrennstäben werben. Vier Anzeigen sollen deutlich machen, daß es sich bei der Wiederaufbereitung um ein Recyling wie bei Aluminium, Glas, Papier oder Plastik handele, meinte die Cogema gestern.
Studie im Internet: http://staff- www.uni-marburg.de/~ kunih/oh/ docs/waasum.htm (Kurzfassung)
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