: Erlösung zwischen Wurstsemmelhälften
■ In seinem vorletzten Film „Picasso in München“ erzählt der Dramatiker-Maler-Filmemacher Achternbusch vom Leberkasmalen und diversen Münchner Kindln
Auf der Bremer Designmesse „profile intermedia“ soll kürzlich Peter Greenaway bitter darüber gejammert haben, daß das Kino immer noch nicht über die lineare Narration im Stile der Prosa des 19. Jahrhunderts hinausgekommen ist. Da ignoriert ein Außenseiter all die anderen Avantgarde-Außenseiter. Zum Beispiel Herbert Achternbusch. Dessen delirante Filme führen seit 25 Jahren zu den immer gleichen Zuschauernachbereitungsdialogen: „Ekelhaft, ich verstehe kein Wort.“ – „Ja genau, ist das nicht herrlich. Ach.“
Wie verkrampft bemüht sich ein Lyotard um das Projekt Höhere-Weisheit-durch-Entzug-des-allzuklaren-Sinns! Wie entspannt dagegen tauchen in Achternbuschs „Alterswerk“ aus tiefen, ruhigen Dadameeren delphingleich Sätze auf. Sie können sich mit denen der Aphorismengötter Lichtenberg, Montaigne, Baltasar Gracian locker messen: „Gehen Sie aus sich heraus. Draußen ist immer etwas los.“ „Ja, selbstverständlich gibt es für Schmerz keine Begründung. Aber die Gründe sind der einzige Trost.“ „Ein Räuspern kann ja so wichtig sein.“ „Eine Erwartungshaltung ist das Beste, was man von einer Sendung erwarten kann.“ „Ich werde auf der Straße landen. Und Du bist schuld daran. Das ist das einzige, wozu Du fähig bist.“
Das letzte Beispiel windet sich durch die komplizierte Dialektik von Unselbständigkeit und Haß in parasitären Zweierbeziehungen fast noch eleganter als Thomas Bernhard. Solch alltäglicher Aberwitz (ergänzt durch die vier Aberwitze talk-radio, zu Tode geredeter Sex und insbesondere Yoghurt-Schönheitsmasken und bodenkriechende Ehemänner) durchsäuern aber nur den Beginn des Films. Die Alltagsschizophrenie zieht sich weitgehend zurück mit der Epiphanie Picassos in Form von Achternbusch höchstselbst: Nach Bergen feministischer Literatur über die Frauenmeuchelmörder Brecht und Picasso müßte man dies fast als statement gegen feministische political correctness bezeichnen – wenn Achternbusch nicht statementunfähig wäre. Der bayerische Gemütsmensch zeigt in seinem 25., 27. oder 34. Film (drei verschiedene Nummerierungsangebote aus dem seriösen taz-Archiv) einen melancholisch-sentimentalen Maler, der drei Frauen durcheinander liebt und mit seiner Tochter schläft, rührend schamhaft und abgründig unbeholfen dargestellt durch gegenseitiges Kopfkraulen zwischen weißumflorter Fastglatze und überquellendem Rotwuschel. Und niemand kann ihm deshalb böse sein. In einer Psychiaterklause gibt es mal ein Plädoyer für die pflegeleichte Kunstblume. Sie sei so ungefährlich. Die schönsten Bilder des Films aber zeigen echten Flieder, so flirrend wie Damenhaar und wie es political correctness nie sein könnte.
Seiner Vorliebe für den machismo der Stierkämpfe hat der wiederauferstandene Maler längst entsagt. Lieber malt er seine fastnackige (“Was ist schöner als ein brauner BH“) Tochter als Kuh vor Leberkäse und träumt davon, mit ihr auf einer Wolke über München zu fliegen. Eine Utopie, die er mit dem Leben bezahlt. Denn die Tochter stürzt bei Flugversuchen von einer Handwerkerleiter, und Picasso muß sich für sie opfern. Albern? – Bei Achternbusch ist Pathos eben immer mit Skurrilität durchmischt. Mit seinen 60 Jahren ist er in einem Alter, in dem das Ringen mit dem Gott „Hades“ immer stärker Raum greift. Aber auch die Glücksvisionen: In unberechenbar zwischen die Beinahestory geschmuggelten Szenen träumen kiffglückliche überbelichtete tonentrückte Slow-motion-Bilder in Handkameratorkeligkeit zu mongolischer und afrikanischer Weltmusik von Seligkeit vor der Zivilisationsgeschichte. Sie tun das aber nicht wie die früheren, Esoterik-näheren Filme in Eis oder Wüste, sondern mitten auf dem Münchener Marienplatz und im Zoo. Die ichverlorenen Gehversuche eines Kleinkinds haben es dem vermeintlichen Menschenfeind ebenso angetan wie der zenbuddhistisch-gemächliche Gang eines Elefanten oder der zärtliche Biß eines Seehunds ins eigene Hinterteil. Kinder, Tiere, Frauen und sogar (wieder) verhurt-versoffene Obdachlose: Wie der andere Obdachlosenfreund Schliengensief verbindet da einer rührende Sozialutopie und grenzsprengende Ästhetik. Höhepunkt der Versöhnlichkeit ist ein subtiles Lob der so lange gehaßten Heimat: „Eine Wurstsemmel: Das ist der schönste Münchner Begriff.“ bk
Fr + Sa, 20.30h, 10.-12.1. 18.30h
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen