Schneekleider gegen Fußfesseln

■ Die Vorschau: Judith Sanders tanzt die Unterdrückung der peruanischen Indios

Eine deutsche Fußgängerzone ohne musizierende Indios ist keine originalechte deutsche Fußgängerzone. Für gar manchen Stadtwanderer ist – nach den alltäglichen shopping-Niederlagen beim Versuch, eine speckverklärende Hose zu finden oder einen schreibhemmungsbrechenden Federhalter – die zünftige Andenmusik höchstes Seelenlabsal. Und erst recht die über die Ohrlappenmützen gestülpten Hüte. Eben originalecht Indio. Halt, würde hier Judith Sanders schreien, wenn Menschen aus Zeitungspapier dem Leser zuschreien könnten, der Hut über der Mütze ist das Produkt einer langen Kolonialisierungsgeschichte. Die spanischen Eroberer hatten es nämlich einst auf die Köpfe der indianischen Bevölkerung abgesehen – auch kleidungstechnisch. In kalten Gegenden Perus trugen Männer und Frauen in schönster Gleichberechtigung Hüte aus Leder. Frau und Hut, davon stand in der Bibel der originalecht-christlichen Spanier kein Wort. Also mußten die Indiofrauen das Kopftuch neu erfinden. Auch an den Männern ging die Folter der Zivilisation nicht spurlos vorbei. In Mützenregionen mußte ein Hut her. In einen solchen verwandelten die Indios ihre Mützen durch ein paar ballonartigen Stoffumwicklungen (siehe Foto). Bei der Kleidung waren es bunte Muster und Ponchos, die unter den abendländischen Bann fielen. Also machten die Indios durch ein paar Nähte und einen Gürtel den Poncho zum Kleid und trugen zum Zeichen der Trauer nur noch Pechrabenschwarz. Erst mit der Zeit, die angeblich Wunden heilt, durfte ein bißchen weißer Saum an Ärmeln und Rockende hervorspitzen. Die in bolivianische Silberminen verschleppten afrikanischen Sklaven hingegen entschieden sich für blütenreines Weiß, vermutlich weil sie beeindruckt waren von dieser ekligen, nässelnden Masse, die mancherorts Schnee heißt. Ihre Instrumente machten sie aus Kieferknochen von Pferden. Natürlich waren es die Pferde der Spanier.

Im Norden Perus war die Unterdrückung der Indios absolut. Je weiter es gen Süden geht, desto besser konnten sie sich in Bergen und Dschungeln verstecken und ihre eigene Kultur bewahren. Bei Cusco und Machupitchu hat sich vollends jenes typische indianische Stapelsystem durchgesetzt, wo sich in der Anzahl der Rockschichten die Gesellschaftsschichten ausdrücken. So läßt sich an der Kleidung das jeweilige Verhältnis von Eroberern und Eroberten ablesen.

Weil das alles aber Judith Sanders viel besser und viel richtiger erzählen kann, sollte man am Sonntag in die Hohentorgemeinde kommen. Dort wird sie die dramatische Vermischung dreier (auch der afrikanischen) Kulturen nicht nur anhand von 50 Kostümen erklären, sondern zusammen mit dem Tanzensemble „Peru Andino“ auch noch den Kulturenmix in den Tänzen nachspüren. Schließlich tanzt sie selbst seit zwölf Jahren in dieser vermutlich ältesten Gruppe für lateinamerikanische Folklore in Deutschland. Durchgesetzt haben sich im Westen Salsa und Merenga aus Puerto Rico und der Dominikanischen Republik. Doch die Bewegungskultur Lateinamerikas ist reicher. Vor allem reich an Imitationen. In der Marinera ahmen die Männer trabende Pferde nach. Ein dritter Tanz soll die Nachempfindung eines heißen Flirts zwischen einem Hund und einer Henne sein. Natürlich ist bei solchen Herleitungen ein gerüttelt Maß Spekulation dabei. Aber das eifrige Kopfnicken der Damen wirkt in der Tat sehr hennisch. Im Tanz spiegelt sich die Vertrautheit mit Natur. Und bei uns in Deutschland weiß kein Schwein, daß Hennen Hunde sehr attraktiv finden. – Schweine imitieren die Tänzer übrigens nicht.

Dafür speisen sich die Tänze der Afrikaner aus der Maloche. Die Stampftänze mit ihren kleinen Schritten kommen vom Traubenstampfen her. Vielleicht aber sind sie verschuldet vom engen Bewegungsspielraum von Menschen in Fußketten. bk

Sonntag, 10. Januar, wird ab 15 Uhr in der Hohentorgemeinde (Hohentorstr.15/Neustadt) nicht nur getanzt, sondern werden auch Teppiche und Schmuck ausgestellt und Livemusik der Gruppen Tawantinsuyo und Inti gespielt. Und Herr Renaldo Archacki bedient gleichzeitig vier Instrumente. Veranstalterin ist Vilma Greiner vom „Deutsch-Peruanischen Kulturverein“. Nicht (nur) wegen Detlev Bucks Film über die Heilsarmee wird der Eintritt an die wackeren SoldatInnen Gottes gespendet.