: „Geplanter Völkermord“ neben dem Kongo-Fluß
■ Der mörderischste Bürgerkrieg Zentralafrikas ist zugleich sein unbekanntester: Die Regierung von Kongo-Brazzaville bekämpft die Bevölkerung im Süden des Landes. Die Welt schweigt
Brüssel (taz) – Der blutigste Bürgerkrieg Zentralafrikas, über den gleichzeitig am wenigsten berichtet wird, tobt derzeit in Kongo- Brazzaville. Tausende von Menschen sind seit dem 18. Dezember in der Hauptstadt und Umgebung ums Leben gekommen. Auf der einen Seite steht die Regierungsarmee des Präsidenten Denis Sassou-Nguesso, die aus seiner Privatmiliz „Cobras“ hervorgegangen ist, sowie Militäreinheiten seiner Verbündeten Angola und Tschad. Auf der anderen stehen die „Ninja“-Milizen des früheren Premierministers Bernard Kolelas.
Der Frieden in Kongo-Brazzaville ist nie wiederhergestellt worden, seit Sassou-Nguesso im Oktober 1997 mit Hilfe Angolas die Macht in Brazzaville ergriff. Damals stürzte er nach vier Monaten Krieg den gewählten Präsidenten Pascal Lissouba und seinen Premierminister Kolelas. Die Kolelas- treuen Milizen zogen sich danach in den Regenwald der Region Pool um die Hauptstadt zurück. Die Lissouba-treuen Milizen „Zoulou“ und „Cocoye“ kämpften weiter im Südwesten des Landes und unterbrachen mehrmals die wichtige Eisenbahnlinie zwischen Brazzaville und dem Ölhafen Pointe-Noire. Die militärischen Auseinandersetzungen nahmen in den vergangenen Monaten beständig zu.
Ab dem 10. Dezember unternahm die Regierungsarmee eine Großoffensive zur Rückeroberung der Region Pool – Heimatregion von Bernard Kolelas, der sich mittlerweile als Chef einer „Kongolesischen Befreiungsbewegung“ (MLC) und Führer der Bakongo- Ethnie präsentierte. Kolelas' Milizionäre suchten Zuflucht in den von Bakongos bewohnten südlichen Vierteln der Hauptstadt, Bacongo und Makelekele. Am 18. Dezember begann die Armee, diese von über 200.000 Menschen bewohnten Stadtviertel mit schwerer Artillerie zu beschießen und dann mit gepanzerten Fahrzeugen in sie einzumarschieren.
Bei dieser dreitägigen Operation gab es „mehrere hundert Tote“, wie Präsident Sassou-Nguesso selbst zugab. Militärkreise schätzen die Opferzahl auf 1.000 bis 1.500; Oppositionelle sprechen mittlerweile von 8.000 Toten. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation „Voix Humaine“, die Kolelas nahesteht, sind 15.000 Menschen in Booten über den Kongo-Fluß in die Demokratische Republik Kongo geflohen.
Seitdem meldet die Regierungsarmee, die beträchtlich aufgerüstet hat, immer wieder neue Angriffe auf feindliche Milizen in den Bergen um Brazzaville und behauptet, die Ninjas nähmen die Zivilbevölkerung als Geiseln. Was das bedeutet, nennt das „Kongolesische Menschenrechtsobservatorium“ (OCDH), dessen Generalsekretär Christian Mouenzo im November in Pointe-Noire verhaftet und gefoltert wurde, ethnische Säuberung und „geplanten Völkermord“. In der Region Pool sind nach OCDH-Angaben ganze Dörfer angezündet wurden, so daß die Bevölkerung völlig mittellos im Regenwald Zuflucht suchen mußte. Angolanische und tschadische Soldaten sowie Cobra-Milizionäre hätten Massaker und Massenvergewaltigungen verübt, Menschen erhängt und bei lebendigem Leibe angezündet oder vergraben.
Für Kongo-Brazzaville sind solche Kriegspraktiken nicht neu. 1997 belegte der damalige Präsident Lissouba die nördlichen Stadtviertel Brazzavilles, wo Anhänger Sasosu-Nguessos leben, mit Luftangriffen. Damals sprach Sassou-Nguesso von Völkermord.
Der Krieg in Kongo-Brazzaville ist von den anderen Konflikten in der Region nicht zu trennen, fügt sich aber auch nicht nahtlos in die regionale Konfliktkonstellation ein. In Kongo-Brazzaville und in der ebenfalls bürgerkriegsgeschüttelten Demokratischen Republik Kongo werden die Regierungen militärisch von Angola und Tschad unterstützt – aber das Verhältnis zwischen Brazzaville und Kinshasa bleibt auch nach einem am 28. Dezember geschlossenen Nichtangriffspakt gespannt. Beide Regierungen werfen einander vor, die jeweiligen Gegner zu beherbergen.
Eine wichtigere Rolle spielt die Solidarität innerhalb der Bakongo-Ethnie, die zwischen dem Süden von Kongo-Brazzaville, dem Westen der Demokratischen Republik Kongo und dem Norden Angolas geteilt ist. Bakongo- Kämpfer in einem Land finden leicht Schutz jenseits der Grenze. Es gibt auch eine Zusammenarbeit zwischen Oppositionsmilizen in Brazzaville und den Rebellen in der ölreichen angolanischen Exklave Cabinda, die gegen die „angolanische Besetzung“ ihres Gebiets kämpfen.
Die Opposition in Kongo-Brazzaville fordert nun den Abzug der angolanischen und tschadischen Truppen; unterstützt wird diese Forderung von amnesty international (ai). Aber der UN-Sicherheitsrat scheint mit Lethargie geschlagen, was diese Region Afrikas betrifft. Die USA und Frankreich, deren Ölkonzerne um die Gunst der Regierungen Kongo-Brazzavilles und Angolas rivalisieren, scheuen vor jeder Kritik an diesen beiden Regimes zurück. François Misser
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