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Raum suggerieren, Konsum meinen

Aus dem Zettelkasten des Stadtneurotikers: Mechthild Erpenbeck und ihr Theater XX/project mit der Textcollage „Spontane Ratlosigkeit versiegelter Säulen im Häusermeer“ in den Sophiensälen  ■ Von Katrin Bettina Müller

Von oben kommt der Gesang und führt in die Tiefe der Zeiten. Die da wie Engel tönen, sind für dieses Mal ins schicke Orange der Stadtreinigung gekleidet. In Madrigalen und Motetten der Gotik malen die drei Tenöre Hartmut Kühn, Christoph Lauer und Jens Arndt ein akustisches Kontinuum aus, in dem Zeit und Raum noch unendlich sind. Ihre Handlung steht im Gegensatz zu dem weiten Atem des Gesangs. Denn sie steigen die Feuerleitern von der Empore der Sophiensäle hinab und beginnen den Raum zu vermessen und zu begrenzen.

Vor dem großen Bogen ihrer Musik spiegeln die kleingehackten Texte der Schauspieler unterschiedliche Wahrnehmungsweisen der Stadt in der Collage „Spontane Ratlosigkeit versiegelter Säulen im Häusermeer“. Der „Herr der Türme“ (Stephan Meyer-Kohlhoff) begründet Architektur als monumentale Vision und aus ökonomischer Notwendigkeit. Seine Gegenspielerin, eine „Frau aus dem Untergrund“ (Doris Prilop), kultiviert den Untergang, das Verdrängte und Vergrabene. Sie sieht aus wie eine Punkerin und bewegt sich in Nahkampf-Manier. Lebendig wirkt zwischen diesen Zitat- Maschinen allein die „flanierende Einwohnerin“ (Tessie Tellmann), die klein, ältlich und mausgrau, an jeder Straßenecke in Erinnerungen kramt. In ihren Geschichten (aus Erzählungen von Wilhelm Genanzino) setzt sich die Stadt wie ein impressionistisches Bild aus gelebten Momenten zusammen.

Das Bühnenbild von Stefanie Bürkle zitiert in den Fenstern des Theatersaals Berliner Wohnkultur mit Weihnachtsbeleuchtung und und stachligen Pflanzen hinter Gardinen. Dazwischen skizzieren Säulentrommeln und Leitern ein Irgendwo zwischen Baustelle und antiker Ruinenlandschaft. Dieser Zustand zwischen noch nicht und nicht mehr vibriert voller Erwartung. Am Ende hat der Chor mit Absperrhütchen und Gittern die Bühne in ein enges Labyrinth verwandelt, wo die Bewohner mit jedem Schritt anecken. Statt eines neuen Zentrums haben sie Begriffe wie „Pizzatreff“ oder „Teppichland“ erhalten, die Raum suggerieren und Konsum meinen.

So ist das Stück, das Mechthild Erpenbeck mit ihrem Theater XX/ projekt inszeniert hat, didaktisch durchkomponiert, um vor der Verwandlung des öffentlichen in privaten Raum zu warnen. Doch leidet der Diskurs mit verteilten Rollen an einer pauschalen Besetzung. „Muß denn überhaupt so viel gebaut werden?“ fragt anbiedernd der Herr der Türme, um gleich darauf zu einer Verteidigung von Verkehrskonzepten und Straßenbau anzusetzen. Seine Argumente stammen aus Reden Hitlers und Albert Speers, mit deren Plänen für den Umbau von Berlin zu Germania jede Stadtplanung leicht als diktatorischer Größenwahn per se diskreditiert wird. Der Architekt ist grundsätzlich verdächtig: Er hält an abstrakten Idealen so unerbittlich fest wie die Punkerin am Abseitigen. Doch trotz dieser einseitigen Zeichnung unterhält das Kaleidoskop aus Musik, Sprache und symbolischen Bildern. Allein die schnellen Schnitte zwischen den absurden Formeln des Planungs-Deutsch und den detailverliebten Beobachtungen der Flaneurin lassen spüren, wie sehr Sprache Wirklichkeiten strukturiert. Zudem erfindet Erpenbeck verblüffende Rituale, die an den religiösen Ursprung des Städtebaus erinnern und sich in unserem täglichen Umgang mit den Baustellen wiederfinden lassen. Da werden Absperrhüte zu Opferstöcken, an denen die Bewohner der Stadt auf Knien rutschend ihren letzten individuellen Besitz preisgeben: Die Punkerin zerrupft ihren Teddy, die Flaneurin reißt sich die Bilder von Harald und Dieter aus ihrem Herzen. Nur der Architekt hat nichts Privates mehr zu geben und zückt sein Portemonnaie.

Bis 25.1. in den Sophiensälen, Sophienstraße 18, Mitte, täglich außer dienstags, 20 Uhr

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