Ausschank beim verrückten Friseur

Heute beginnt in Berchtesgaden eine Snowboard-WM. Ist der urbayerische Senioren-Kurort ausgeflippt – oder die Trendsportart gewöhnlich geworden?  ■ Aus Berchtesgaden Fred Stein

Zum Beispiel der Friseur, der ganz in der Nähe von Berchtesgadens Ortskern sein Geschäft hat. Der hat sich was ganz Besonderes einfallen lassen zur Snowboard- Weltmeisterschaft des Skifahrerverbandes FIS, die heute mit dem Riesenslalom der Frauen den Rennbetrieb aufnimmt. „Eine verrückte Geschichte“, sagt Fedor Radmann, Präsident des Organisationskomitees, freut sich und fängt gleich an zu erzählen: „Der macht in seinem Laden eine WM-Party; ich glaub', der hat sich sogar eine Ausschankgenehmigung geholt.“ Donnerwetter! So eine verrückte Geschichte! Und Radmann bleibt unbeirrt zufrieden. „Es ist schon so“, sagt er, „daß hier eine Aufbruchstimmung ist.“

Das Schlimme daran ist, daß eine Fete in einem Frisiersalon für Berchtesgadener Verhältnisse tatsächlich so etwas wie eine verrückte Geschichte ist. Und gerade deshalb mutet es seltsam an, daß Berchtesgaden sich ausgerechnet den Snowboardsport ausgeguckt hat, um damit Reklame für sich zu machen. Snowboard-WM in Berchtesgaden, das klingt wie Wüstenreiten in Alaska. Das paßt eigentlich nicht zusammen. Einschränkung: Es paßt nicht, wenn das alte Klischee stimmt. Das ungefähr so geht: Snowboarden ist ein schriller Trendsport, den nur Sonderlinge und Ausgeflippte betreiben. So etwas würde nie geduldet im Kurort, wo vor allem Senioren und Familien Erholung suchen. Wo die Einheimischen verschlossene Leute sind, denen alles Neue erst einmal verdächtig ist, die ihre Trachtenvereine und ihr Weihnachtsschießen lieben und ansonsten ihre Ruhe haben wollen.

Also stimmt das Klischee nicht. Snowboarden ein Trendsport? Schon lange nicht mehr. Spätestens jetzt, da es in Urbayern angekommen ist, dürfte das auch der Letzte begriffen haben. Eine gewöhnliche Sportart am Rande des Disziplinen-Spektrums ist aus einer Bewegung entstanden, die tatsächlich einmal ein paar wenigen Spaßsportlern vorbehalten war. Auf den Pisten fallen Snowboarder nicht mehr auf, jede gute Skischule bietet längst auch Snowboardkurse an. Nicht einmal die jährlich ansteigenden Verkaufszahlen von Snowboard-Accessoires, gerne angeführt als Beweis dafür, daß Snowboarden eine im Boom befindliche Branche sei, gibt es noch; die Zahlen haben sich auf hohem Niveau gehalten, so hat es die Industrie im vergangenen Frühjahr mitgeteilt.

Seit es 1998 in Nagano seine Olympia-Premiere hatte, ist Snowboarden außerdem beim breiten Publikum als ernstzunehmender Wettbewerb anerkannt. Und damit auch für einen konservativ ge- prägten Ort wie Berchtesgaden gut genug als Mittel zur Eigenwerbung. Den zähfließenden Fremdenverkehr werde die WM beleben, das ist das Argument gewesen dafür, den anspruchslosen Skihang am Götschen für sieben Millionen Mark bis zur WM-Tauglichkeit umzugraben und dort einen Olympia-Stützpunkt für Ski alpin und Snowboarden zu schaffen.

Allerdings hat das neue Ressort im Sportestablishment ein Problem, das böse auf die FIS-WM zurückschlägt. Die FIS hat den Konkurrenten ISF, Verband der Pioniere, immer noch nicht aus dem Geschäft kegeln können. Im Gegenteil, die ISF ist fidel wie nie, nachdem sie bei Olympia feststellen durfte, daß ihre Athleten über die Hälfte aller Medaillen einholten. Prompt beschloß vor dieser Saison die ISF-Fahrergewerkschaft PSA eine Vorgabe, nach der jeder Profi für die ISF-Tour gesperrt ist, der es wagt, ein FIS-Rennen zu bestreiten. Viele Stars der Branche fehlen deshalb bei der FIS-WM, weshalb vor allem die Freestyle-Disziplinen zu zweitklassigen Wettbewerben verkommen.

Halfpipe-Olympiasiegerin Nicola Thost etwa startet lieber bei der ISF-EM. „Die Thost geht uns nicht ab“, sagt Radmann tapfer und muß gleichzeitig ziemlich froh sein, daß Heidi Renoth, in Berchtesgaden daheim und Olympia- Zweite im Riesenslalom, sich trotz Bänderrisses am Sprunggelenk in die Wettkampfschuhe zwängt – ohne sie sähe es aus deutscher Sicht ein bißchen mau aus.

Und die Medien, insbesondere die zu Live-Übertragungen verdammten ARD und ZDF, sehen das vermutlich sowieso anders. Daß sie die erfolgreichste Deutsche nicht zeigen können, dürfte ihnen nicht gefallen. Da mag die Geschichte mit dem lustigen Party-Friseur für Berchtesgadener Verhältnisse noch so verrückt sein.