piwik no script img

Press-SchlagKeine Chance für Eusebio da Silva

■ Fußballhistoriker kürten Johan Cruijff zum besten Kicker des Jahrhunderts

Als der Schiedsrichter die erste Halbzeit abpfiff, gab Herr Höpfner keinen Pfifferling mehr für Portugal. Im Viertelfinalspiel der Fußball-Weltmeisterschaft von 1966 führte Nord- Korea mit 3:0, und es sah nach einer deftigen Packung für die favorisierten Portugiesen aus. Höpfners besaßen damals den einzigen Fernseher in der Nachbarschaft, und alle WM-Spiele, egal ob Live-Übertragungen, Aufzeichnungen oder Zusammenfassungen, wurden bei ihnen im Wohnzimmer angeschaut. 45 Minuten später war klar, daß Herr Höpfner danebengelegen hatte, und alle anderen mit ihm. Portugal gewann mit 5:3. Dank Eusebio. Die ersten vier Tore für sein Team schoß er selbst, zum fünften Treffer gab er die Vorlage.

Nach dem Ende der denkwürdigen Partie wurde der portugiesische Stürmer im Wohnzimmer der Höpfners lauthals gefeiert. Eusebio sei, verkündete Herr Höpfner nunmehr, der beste Spieler des Jahrhunderts. Doch die Einschätzung ging wieder daneben, was sich dieses Mal allerdings erst knapp 33 Jahre später erweisen sollte. Bei der Wahl zum besten europäischen Feldspieler dieses Jahrhunderts am Montag abend landete Eusebio nämlich gerade mal auf Platz 6. Sieger wurde Johan Cruijff vor Franz Beckenbauer und Alfredo di Stefano.

Veranstaltet hat die Wahlen zum jahrhundertbesten Spieler Europas sowie aller übrigen Kontinente die Internationale Föderation für Fußballgeschichte und Statistik (IFFHS). Die Proklamationen und Ehrungen der gewählten Spieler wurden im Rahmen einer etwas merkwürdigen, vor allem aber langweiligen „Welt-Fußball- Gala '99“ im hessischen Rotenburg vorgenommen. Das Verfahren, mit dem die Sieger ermittelt wurden, erscheint zudem reichlich dubios. Anhand der von den Spielern in den einzelnen Verbänden erbrachten Leistungen – Länderspieleinsätze, erzielte Tore und so weiter – habe man zunächst festgelegt, wie viele Kandidaten jedes Land aufstellen durfte. Dann stellten Fachredaktionen und Fußballhistoriker die Kandidatenlisten auf, schließlich wurden die kontinentbesten Kicker bestimmt, wobei die bedeutenderen Fußballnationen doppeltes und die ganz bedeutenden dreifaches Stimmrecht hatten. Kurzum: „Es hat noch nie in der Geschichte des Weltfußballs Wahlen gegeben, die mit einer solchen Akribie, Sachkenntnis und enormem Aufwand durchgeführt wurden.“

Gewählt, proklamiert und gewürdigt wurden in Rotenburg die Jahresbesten in allen Kategorien und Sparten, die einem in der Kneipe oder beim Sonntagsfrühstück nur einfallen können – vom weltbesten Vereinstrainer (Marcello Lippi) über den erfolgreichsten Torhüter-Torschützen (natürlich José Luis Chilavert) bis zum fähigsten Schiedsrichter (der glatzköpfige Pierluigi Collina).

Vor fragwürdigen Entscheidungen war die IFFHS allem Zahlenzauber zum Trotz nicht gefeit. Nicht nur im Falle Eusebios, sondern auch jener nordkoreanischen Mannschaft, die sich in England unter die acht stärksten Teams vorgekämpft hatte. Männer namens Pak Do Ik oder Li Don Woon finden sich nicht unter den zwanzig besten asiatischen Spielern des Jahrhunderts. Auf den vorderen Plätzen landeten statt dessen ihre südlichen Brüder Bum Kun Cha und Joo Sung Kim.

Während Bum Kun Cha seine Auslandserfahrung ausdrücklich zugute gehalten wurde, galt dieser Maßstab für Eusebio nicht. Der heißt richtig Eusebio Ferreira da Silva und stammt aus Moçambique. Von 1960 bis 1975 spielte er für Benfica Lissabon, wurde elfmal portugiesischer Meister, viermal stand er in einem Europacup- Endspiel. Benfica hielt Eusebio quasi in Leibeigenschaft, zahlte ihm ein äußerst niedriges Gehalt und unterband gleichzeitig Abwanderungsneigungen durch gigantische Ablösesummen. Erst im reifen Alter heuerte Eusebio in den USA an, bevor er seine Karriere in Mexiko, Kanada und erneut den USA einigermaßen geruhsam ausklingen ließ.

Aber vielleicht sollte man die Einstufung Eusebios nicht allzu tragisch nehmen. Denn was der synthetische Titel „Fußballer des Jahrhunderts“ überhaupt aussagen soll, wußte in Rotenburg niemand zu sagen. Auch nicht der mehrfach ausgezeichnete und um Worte selten verlegene Franz Beckenbauer. Reimar Paul

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen