Militär-Bulldozer durch Türspalte

■ Der palästinensische Spielfilm Curfew – Die Augangssperre

Erklären müssen sie nichts, und keiner weiß, warum plötzlich schwerbewaffnete israelische Soldaten durch die Straßen jagen und eine unbefristete Ausgangssperre verhängen. Die palästinensischen Lagerbewohner reagieren routiniert. Eilig schließen sie die Läden, räumen die Cafétische weg und ziehen sich in ihre Wohnungen zurück.

Curfew – Die Ausgangssperre heißt das Filmdebut des einzigen Regisseurs aus dem Gaza-Streifen, in dem es nur ein Kino gibt. Der 33jährige Rashid Masharawi hat damit zugleich den ersten palästinensischen Spielfilm gedreht. Die Handlung scheint zunächst unspektakulär. Der Film schildert eine Nacht im Leben einer Familie, die durch das Ausgangsverbot in ihrem eigenen Haus eingeschlossen ist. Aber die stillen, ruhigen Kameraeinstellungen zeigen seismographisch die Verwerfungen und Auseinandersetzungen in der Familie auf, die vor dem Hintergrund von Militärrazzien und Ausnahmezustand ausgetragen werden. So entstand mehr als ein Polit- Film, der längst durch die Tagesereignisse überholt wäre. Curfew ist ein sensibles und liebevolles Porträt einer palästinensischen Familie, das die Konflikte zwischen traditionellen Rollen und Ritualen und einem Anspruch auf Emanzipation zeigt, der sich längst nicht mehr aufs Politische beschränkt.

Indem Curfew fast nur aus Innenaufnahmen des Hauses montiert wird und sich nur selten einen Spähblick über die Hofmauern erlaubt, identifiziert sich die Kamera mit den eingeschränkten Blickwinkeln der Eingeschlossenen. Was draußen geschieht, dringt nur schemenhaft und gefiltert, dafür aber umso bedrohlicher ins Haus vor. Bei einem Blick durch den Türspalt sieht man, wie das Nachbarhaus von Militär-Bulldozern abgerissen wird oder wie die Armee nebenan jemanden verhaftet. Zwischen den Häusern spinnt sich in dieser Nacht ein Netz von Geschichten und Ereignissen. Ein Kind wird geboren, ein Mädchen erschossen, ein Ehepaar zerstreitet sich.

Aber Vorsicht, der Streifen aus Gaza ist parteiisch. Die Palästinenser sind die Opfer, die Steine bleiben am Boden, und die Israelis kommen nur als waffenstarrende Uniformträger vor. Besonders problematisch gerät die Darstellung der Besatzer, bei der locker die Nazi-Keule geschwungen wird. So setzen die Israelis Tränengas ein, die Razzien erinnern an Gestapo-Methoden und die Verladung von Palästinensern auf LKWs an die Juden-Deportation.

Masharawi betont, daß es in Curfew nicht vornehmlich um den Konflikt mit Israel gehe. „Ich kann Politik nicht negieren, aber mir geht es mehr um die Darstellung unseres Lebens und der arabischen Kultur.“. Wer sich darauf einläßt, bekommt einen intimen Einblick in das Leben der Palästinenser, das sich abspielt, wenn in Gaza die Fernsehteams ihre Kameras eingepackt haben.

Oliver Fischer