: „Zeitschriften sind Originale“ Auf der Suche nach dem verlorenen Gefühl: Wolfgang Tillmans zeigt mit seinen Fotografien, wie sich eine Welt zusammensetzt, in der Identitäten zwischen innerem Erleben und äußerem Schein hin und her gleiten. Ein Gespräch über die Schlichtheit fotografischer Verführungskunst
taz: Herr Tillmans, nachdem Sie mit Porträts aus der Pop- und Clubszene bekannt geworden sind, haben Sie auf der Berlin-Biennale bedrohliche Fotos mit Polizeihelikoptern und Ratten ausgestellt. Wieso der Stimmungswechsel?
Wolfgang Tillmans: Die Aufnahmen stammen bereits aus dem Jahr 1995, als ich meinen ersten Fotoband fertiggestellt habe.
Aber die Images passen so gar nicht zur Partyatmosphäre, die man von Ihnen als Sinnbild für Berlin erwartet hätte.
So war das auch ein bißchen gedacht. Das „Schwimmbad“ und die „Ratte“, die in der Akademie der Künste gezeigt wurden, sehe ich als einen Ausweg aus der Stadt. Außerdem gab es den „Ratten“-Vergleich von Berlins Innensenator Schönbohm – wobei die Ratte für mich eher ein Identifikationsmotiv darstellt und kein abschreckendes Beispiel. Das Foto mit dem Helikopter dagegen ist in Wirklichkeit gar nicht in Berlin, sondern in New York entstanden.
Ein Großteil Ihrer Fotos bildet ja auch eher eine Musik-, Kunst- und Clubszene ab, die ohne lokale Verwurzelung auskommt.
Das ist zumindest die Phantasie, die die Leute vor den Bildern entwickeln.
Trotzdem haben die Aufnahmen etwas sehr Heimeliges...
Mich interessieren die universellen Qualitäten, bei denen sich der Betrachter nicht abgeschnitten fühlt von der abgebildeten Situation. Ich will keine Überhöhung betreiben, sondern die Schönheit, die ich sehe, die auch von anderen in anderen gesehen werden kann.
Ist diese Gleichheit vor dem Bild nicht eine Konstruktion, so wie das „We are family“ der Technoszene?
Ich habe die Szene, die ich abbilde, nie als homogen aufgefaßt. Die Leute kommen aus allen möglichen Hintergründen und haben in den allerwenigsten Fällen irgend etwas mit Techno zu tun. Das sind Vorstellungen, die im Kopf entstehen, wenn man hier auf einem Foto die Love Parade sieht, dann wieder Tänzer oder eine 303-Rhythmusmaschine. Das wird alles unter Techno abgelegt, auch wenn genauso viele Leute nichts mit Musik zu tun haben, die sich womöglich politisch oder religiös engagieren. Mich interessiert gerade das Nichtkategorisierende, obwohl ich sicher im richtigen Moment davon profitiert habe, daß viele Leute anhand meiner Bilder Jugendkultur diskutieren.
Bei Ihren Modefotos gibt es diesen Selbstläufer-Effekt aber schon, der einige Protagonisten zu Popstars macht?
Ich wollte natürlich ein Schönheitsbild zeigen, meine idealisierte Welt. Das kam in den späten achtziger und frühen neunziger Jahren aus dem Gefühl heraus, daß diese Schönheit eben nicht repräsentiert war. Am Ende standen Porträts von Menschen, die nicht irgendwie verrückt oder schräg aussahen, um damit interessant zu sein.
Bei aller Authentizität haben Sie für diverse Fotostrecken mit Models gearbeitet?
Ja, das sieht immer so aus, als wären die Leute meine Freunde – was ja Unsinn ist, wenn man überlegt, wie viele Menschen auf meinen Fotos auftauchen. Dann wäre ich ja sehr beliebt (lacht). Es ist eher eine Frage, wie ich auf Leute gucke, und das reicht von allerengsten Freunden bis zu komplett Unbekannten. Die Gruppe derer, die ich fotografiere, ist eben auch heteronom in dem Maß der Enge und Nähe, in der sie zu mir steht. Daß die hinterher alle so aussehen wie Freunde, das ist mein Blick, das ist meine Arbeit.
Apropos Arbeit, trotz der Schlichtheit Ihrer Fotos scheinen Sie sehr viel Arbeit für das Licht zu verwenden?
Das ist schön, daß das mal auffällt, weil ich es so mache, daß es nicht auffallen soll. Auch mit dem Licht versuche ich mich der Weise anzunähern, wie ich gucke. Ich sehe ja niemanden mit roten Augen und Schlagschatten an der Wand dahinter. Die Verwendung von Licht habe ich bei Experimenten am College in England 1991 gelernt. Das Verhältnis von natürlichem Licht, Blitz und Kunstlicht gehört ebenso dazu wie die Tatsache, daß ich alle Fotos mit der Hand abziehe, wodurch ich die Farbigkeit betonen kann.
Um noch mal auf die Enge zurückzukommen, was meint der Titel „Burg“ Ihres aktuellen Fotobandes?
Sie meinen, weil es nach Schutz klingt?
Ja, auch. Gegen wen verteidigen Sie sich?
Gegen die böse Welt (lacht), nee, nee. Es hat ganz persönlich mit einem Kosenamen aus meiner Liebesbeziehung zu tun. Darin liegt auch das Verständnis von Liebesbeziehung als feste Burg.
Freundschaft und privater Blick sind wichtige Markierungen im Werk Nan Goldins. Heute beklagt sie, daß ihre Art, Zeugnis abzulegen, von anderen Fotografen zur ästhetischen Konvention abgewertet wird.
Da liegt ein entscheidender Unterschied. Bei Nan Goldin wird eine kongruente Authentizität behauptet, meine Bildwelt ist dagegen eine postauthentische Welt. Meine Arbeit ist eher eine Untersuchung darüber, warum ein Foto funktioniert: Wie läßt sich Nähe vermitteln? Dabei interessiert mich, wie weit sich unser „wahres“ Ich aus einer Mischung aus innerem und äußerem Ich bildet. Das Ein- und Ausgleiten in und aus dieser Mischung, das fotografiere ich. So betone ich die Konstruktion, in der alle Welt das Echte sieht, weil die Konstruktion so gut funktioniert; aber mein Interesse ist es natürlich, daß es echt ist, also glaubhaft und überzeugend.
Dabei fallen aber gerade im gemeinsamen Bereich der Schwulenkultur, mit der sich Goldin und Sie beschäftigen, eine ganze Reihe an Unterschieden auf.
Die Fotos sehen sowieso total anders aus. Wenn man nicht bemerkt, wie die Lichtführung ist, dann sehen die Bilder vielleicht ähnlich aus; aber die Farben sind anders, bei ihr wird der Blitz anders eingesetzt, oder es gibt ein Übermaß an Kunstlicht, oder die Leute bewegen sich off-center. Da ist eine ganz andere Harmonie in den Bildern. Aber das Übergeordnete – und sei es nur Subkultur und Farbe – reicht offensichtlich aus, um bei uns Übereinstimmungen zu finden. Auch bei der Schwulenszene interessiert mich nicht die eine Identität, Drag-Dasein etwa spielt bei mir keine Rolle, sondern in einer bestimmten Zeit ist vielleicht eher die SM-Szene interessant gewesen. Vor allem will ich niemanden ausschließen von meiner Sicht der Dinge. Daß sich dennoch Leute hin und wieder abgestoßen fühlen ..., das passiert.
Wollen Sie nie böse sein?
Och, ich weiß nicht, es ist ja viel böser, wenn man ein Schäfchen mit einem Hündchen zusammen fotografiert. Die Einfachheit von dem, was ich als schön behaupte, das ist ja eine viel stärkere Provokation als das Herumhantieren mit Leichenteilen. Das ist ja von vornherein als Außenseiterposition benannt und hat deswegen kein Potential.
Die Hängung Ihrer Fotos führt die Brechung fort. Sie benutzen alle Arten der fotografischen Abbildung – vom Einzelabzug über Laserprints bis hin zu Postkarten und Druckseiten aus der Zeitschrift. Verschwindet damit die Ikonenhaftigkeit, die Fotokunst oft anhaftet?
Zu meiner Einstellung gehört eben auch, daß ich mich als Künstler für die Zeitschrift entschieden habe. Es ist doch merkwürdig, daß man auf eine Geschichte der Fotografie in enger Bindung an die Medien zurückblicken kann, und doch wird noch heute ein Distinktionsgewinn der reinen Fotografie gegen diese Medien genutzt. Wenn mich jemand kritisieren will, dann nennt er meine Arbeit immer noch Modefotografie. Ich hänge die Bilder in einer layoutartigen Verbindung, um sie in ihrer Stärke wirken zu lassen. Ich will mich nicht dafür entschuldigen, daß ich eine Zeitschriftenarbeit mache, indem ich sie gleich als Kunst deklariere und von der restlichen Tätigkeit abgrenze. Die Zeitschrift interessiert mich als Original, als haptisches Objekt, auf das die Fotos gedruckt sind. Das hat seinen eigenen Sexappeal, genau wie Postkarten, Multiples oder Einladungskarten. Umgekehrt kann man in der Hängung vor dem linearen Ablauf ausweichen, der sonst Zeitschriften anhaftet, und mehr auf die Raumerfahrung eingehen. In der Kombination von Bildern kann ich meine Art der parallelen Wahrnehmung darstellen, wie ich die Welt als zusammengesetzt sehe. Ich sehe die Welt nicht wie Thomas Struth oder die Bechers, ich sehe eben nicht einmal nur Mietskasernen und dann nur Sterne. Das ist eine wunderbare Art zu arbeiten, in der ich mich nur nie aufgehoben fühle.
Trotzdem bleibt auch bei Ihnen am Ende das einzelne Bild bestehen – oder hängen Sie nicht am glücklichen Augenblick, den das einzelne Foto wiedergeben kann?
Doch, darum geht doch alles. Aber meine Ausstellungen sind auch verschärfte Testbedingungen für diese einzelnen Bilder. Anstatt sie auf ein Podest zu stellen und sie zu vereinzeln oder durch Rahmung und Größe zu rarifizieren, setze ich sie so stark, wie es geht, sich selbst aus. Dabei hoffe ich, daß der Betrachter diese Herangehensweise auch sieht, wenn die Bilder in dem Sammelsurium immer noch als Bilder aufleuchten. Mit schlechten Fotografien kann man das nicht machen, da würde die Installation ja wie eine Entschuldigung für nicht so starke Bilder wirken. Aber mich interessiert das Blatt, sonst würde ich jedes einzelne Foto nicht selbst abziehen.
Man findet Ihre Fotos immer wieder in Themenausstellungen, die sich mit der „Family of Man“, dem Blick auf das Private oder überhaupt der Inszenierung von Wahlfamilien innerhalb der Pop- Community beschäftigen. Wieso lassen Sie sich auf diese Position festlegen, obwohl Sie Etikettierungen ablehnen?
Na gut, das ist nur die Spitze des Eisbergs. Den ganzen Kram, den ich abgelehnt habe, den kennen Sie ja gar nicht. Bei den Zeitschriften ist es nicht anders: Es gibt eine Grenze im kommerziellen Bereich, und es gibt eben auch eine Grenze bei Ausstellungen über Jugendkultur, Nomadentum und Internet. Allerdings wäre ich doch blöd, wenn ich ein Angebot der amerikanischen Vogue abgelehnt hätte, die immerhin einige der besten Fotografen dieses Jahrhunderts beschäftigt hat. Damals sind die Fotos mit Kate Moss entstanden. Als ich danach mit Claudia Schiffer in Miami Mikro-Bikinis fotografieren sollte, habe ich dann abgelehnt. Bei Ausstellungen ist es nicht anders – im Zweifel für die Sache. Erst mal ausprobieren und lieber dann kategorische Entscheidungen fürs nächste Mal treffen, aber dann aus Erfahrung. Letzten Endes wird einem ohnehin alles als Strategie ausgelegt. Für Texte zur Kunst war mein Foto mit der Ratte eine Anbiederung an die Kuratoren der Berlin-Biennale. Interview: Brigitte Werneburg
Harald Fricke
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