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“Findet Ihr nicht auch, das Techno übel ist?“

■ Justin Sullivan, Sänger der Bombastpathosrocker „New Model Army“, gestaltete mit zwei Freunden im Modernes einen innig-gemütlichen und zuweilen ulkigen Folkabend

Früher soll sie viel über Geschlechterverhältnisse und Feminismus geredet haben. Bei ihrem vierten Auftritt im Modernes seit 1988 erinnert sich JOOLZ lieber an alte, wildlustige Tage, wo man als fünfzigster Teil eines furchteinflößenden Punkhaufen eine smarte Collageparty kollektiv ins Schwitzen brachte und dann auch noch den Preis für die beste Verkleidung abstaubte: Ein alupapierumwickeltes Punkkid ging als weihnachtlicher Truthahnbraten durch. Vergangenheit, so gründlich vergangen, daß sie zu erbaulichen Anekdoten kristallisiert. Wenn JOOLZ „wir Punkrocker“ sagt, schwingt Nostalgie durch den Raum. Zwar fügt sich ihr Kinnpiercing noch immer gut ins freundliche Gesicht. Die Tattooringe um die mollig gewordenen Arme aber wachsen sich langsam zu Stilbrüchen aus. Langes, schwarzes Kleid und samtig-gelassene Stimme wollen die Dame im Expunk nicht verhehlen. Eine Dame, die es mag, heutige Jugendkultur nicht zu mögen. „Ich bin eine alte Frau, und kann deshalb nur sagen: Wenn die Kids auf Techno stehen, dann ist Techno gut. – Aber findet ihr nicht auch, daß Techno richtig übel ist?“ Einst war sie nichts weiter als die Managerin von New Model Army. Spätestens seit sie letztes Jahr einen Krimipreis abgriff, ist sie neben Justin Sullivan und Rev Hammer gleichberechtigter Teil von „Red Sky Coven“, dem Folkableger von New Model Army.

Gesprächskonzerte sind in der Klassik guter Brauch. Der gemeine Rockmusiker hingegen geht von der Annahme aus, daß der ebenso gemeine Rockfan von ausufernden Wortbeiträgen lieber verschont werden möchte. Und so verdient es allerhöchste Bewunderung, daß Red Sky Coven Äonen vor den unplugged-Spielereien anderer Leute aus der üblichen Gib's-Ihnen-Niederdröhnkultur ausbrach. Schon die Bestuhlung des Modernes forderte den Gast eher zur Nachdenklichkeit auf als zum Ausflippen.

In den knapp drei Stunden, die drei heimelige weinrote Kerzen zum Niederbrennen brauchten, wurde in bester Folkmanie(r) erzählt, gesungen und Anne-Clarke-artig psalmodiert von „clear cool water“, ohne daß sich süßliches Davidoff-Aroma ausbreitete. Natürlich folgt auf das rührende Wort „love“ das noch rührendere Wort „fool“. Und sowohl bei Sullivan als auch bei Rev Hammer haben die Seelen die schöne Tendenz zur Hartnäckigkeit: „I wish and I wish and I wish...“ Und „It's worth and it's worth and it's worth...“ Oder hieß es worse statt worth??? Spätestens, wenn von der „Einsamkeit in der dunklen Moorlandschaft“ von Devon die Rede ist, schwillt das kleine Eiland Großbritannien auf zu einer unergründlichen Seelenlandschaft von den Dimensionen Großamerikas, dem Mutterland des Folk. Und so fehlt auch nicht das große Amilandthema: „Sometimes it's difficult to come home.“ Schön, daß soviel Gefühl mit ebensoviel Ulk durchmischt war. „Folkmusik dreht sich um fünf Dinge: Sex, Tod und Schafe.“ Schön, daß das düstere Bom-bastpathos von New Model Army auch abgespeckt zu Ballsaalintimität funktioniert. Schön für alle Army-Fans, daß IHR Mann Sullivan auch und gerade ohne Keyboard- und Geigenschwulst so inbrünstig singt, daß man weinen möchte. bk

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