: "Momper muß sich zurücknehmen"
■ Manfred Güllner, Leiter des Meinungsforschungsinstitutes Forsa, sieht die Gefahr, daß der SPD-Spitzenkandidat die Wechselstimmung verspielt, wenn er sein autoritäres Image nicht abstreift
taz: Herr Güllner, Sie haben Klaus Böger bessere Chancen als Diepgen-Herausforderer attestiert als Walter Momper. Überrascht Sie das Ergebnis der SPD-Urwahl?
Manfred Güllner: Ich habe gesagt, daß die Chancen der SPD bei den Abgeordnetenhauswahlen im Herbst mit Böger aufgrund der höheren Sympathiewerte höher wären. Momper hat im Westen schlechte Sympathiewerte, aber auch im Osten liegen seine Werte unter denen von Böger und Diepgen. Über die Urwahl selbst haben wir keine Prognosen gemacht, weil die SPD-Mitglieder unter der wahlberechtigten Bevölkerung eine radikale Minorität sind. Insofern war ich da genauso gespannt wie alle anderen.
Es gab an der SPD-Basis offenbar ein starkes Bedürfnis für einen Kandidaten, der für den Wechsel steht anstatt für die Mühen der Großen Koalition. Glauben Sie, daß das auch für die Wählerinnen und Wähler am 10. Oktober gilt?
Eine Wechselstimmung kann man in Berlin registrieren. Rund 70 Prozent aller Berliner erwarten einen Wechsel, 60 Prozent wünschen ihn. Das ist allerdings sehr diffus und in erster Linie gegen den jetzigen Senat gerichtet und nicht unbedingt gegen die Koalitionsform. Die Wechselerwartung und die Wechselbereitschaft ist aber sehr ausgeprägt.
Diesen Wunsch nach einem Wechsel haben sie ja bereits vor der Urwahl festgestellt. Nun steht der Diepgen-Herausforderer fest. Wird das eher ein Personenwahlkampf werden oder ein Richtungswahlkampf Rot-Grün gegen die Große Koalition? Immerhin hat die CDU ja keinen anderen Koalitionspartner als die SPD.
Wie die Parteistrategen das anlegen werden, kann ich natürlich nicht sagen. Aufgrund der Wahlchancen wäre es aus Sicht der SPD aber besser, keinen personenbezogenen Wahlkampf zu machen. Da würde für die SPD die Gefahr bestehen, daß Diepgens Sympathie sich auch in Stimmen umsetzt. Momper wäre gut beraten, wenn er die SPD einbinden und sich etwas zurücknehmen würde und als SPD den Wahlkampf führt, weil die SPD als Partei ingesamt sehr hohe Sympathien in der Stadt hat.
Böger gilt als Mann, der auch in der „neuen Mitte“ neue Wählerschichten für die SPD erschließen könnte. Momper gilt als einer, der polarisiert. Schwächt Momper nicht die Chancen von Rot-Grün, weil er die „neue Mitte“ der CDU überläßt und statt dessen im grünen Wählerpotential im Westen und bei der PDS im Osten fischt?
Die Gefahr besteht. Das hat uns auch zu der Einschätzung bewogen, zu sagen, daß die Chancen von Momper eigentlich geringer seien als die von Böger. Momper muß, wenn er die SPD aus dem 23-Prozent-Loch herausholen will, wieder die Stimmen holen, die die SPD verloren hat oder neue von der CDU zurückgewinnen, so wie es Schröder bei der Bundestagswahl geschafft hat. Das kann man nicht mit einer Polarisierung schaffen oder damit, daß man die Wähler, die man braucht, vor den Kopf stößt. Es wird also darauf ankommen, wie Momper und die SPD den Wahlkampf anlegen.
Kann es also sein, daß das Bedürfnis der SPD-Basis nach einem starken Kandidaten nicht mit dem Wechselbedürfnis der Wählerschaft übereinstimmt?
Es könnte das fast paradoxe Ergebnis eintreten, daß Momper, wenn er so in Position bleibt, wie er jetzt ist, die Große Koalition stabilisiert und eben nicht den von der Mehrheit der Wähler gewünschten Wechsel erreicht.
Der CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky hat also recht, wenn er sagt, Momper wäre für die CDU der bessere Kandidat?
Aus der Sicht der CDU würde ich das im Augenblick auch so sehen. Wir haben aber noch einige Monate bis zur Wahl und Momper hat auch noch die Chance zu zeigen, daß er sich zurücknehmen kann und sich so mit der SPD positionieren kann, daß er bei der Wahl erfolgreich ist.
Was ihm ja negativ anhaftet ist, daß er als zu autoritär, als zu machthungrig gilt, daß er zu sehr die Vergangenheit und zu wenig die Zukunft verkörpert. Das sind die Punkte, an denen Momper noch arbeiten muß.
Glauben Sie, daß die SPD noch einmal einen solchen Einbruch erleben wird wie Ingrid Stahmer nach der Urwahl 1995?
Das ist bei der Berliner SPD nie auszuschließen. Interview: Uwe Rada
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