piwik no script img

Strampeln ohne voranzukommen

Die Tour de Kiel führt auf dem Ergometer durch die Halle. Ein Selbstversuch  ■ von Oliver Lück

Du quälst dich. Der Schweiß fließt in Strömen. Du verzerrst dein Gesicht vor Schmerz. Deine Beine werden langsam taub. Du schaust hoch: Alles ist wie immer. Keine Abwechslung in Sicht. Du bist keinen Meter vorangekommen.

Vergeßt die Spanienrundfahrt, vergeßt Mailand – San Remo oder Lüttich – Bastogne – Lüttich, vergesst auch den Giro d'Italia. Für Pedaleure, die ihre Kraft bis zur Schmerzgrenze austesten wollten, gab es in den vergangenen zwölf Tagen nur eine ultimative Herausforderung: Die Tour de Kiel 1999.

Meine Planung war gewissenhaft: Sechs Wochen Vorbereitung mit über 300 Trainingskilometern in den Beinen. Die Packungsbeilage der Aldi-Magnesiumtabletten versprach nur das beste. Sogar einen Kasten Apfelschorle hatte ich mir geleistet. Mit anderen Worten: Nichts hatte ich dem Zufall überlassen – geholfen hat es wenig. Die Tour, nach Olympia und Fußball-WM für mich das drittwichtigste Sportereignis, zeigte mir gnadenlos meine körperlichen Grenzen auf.

Insgesamt 208 Kilometer auf sieben Etappen galt es für das achtköpfige Fahrerfeld, allesamt Sportstudenten aus Hamburg und Kiel, zu bewältigen. Allerdings nicht auf die herkömmliche Art: Das Rennrad wurde ebensowenig benötigt wie aerodynamische Helme oder verspiegelte Sonnenbrillen. Statt dessen quälte man sich auf unbeweglichen Fahrrad-Ergometern – futuristisch anmutende Rennmaschinen, per Computer gesteuert. Jeder Schwierigkeitsgrad, von längeren Flachetappen mit Sprintankünften bis hin zu einem Bergzeitfahren der dritten Kategorie, beliebig simulierbar.

Von Fahrt- und Gegenwind im Sportzentrum der Kieler Uni nichts zu spüren. Auch keine Hostessen mit aufdringlichem Geknutsche und flauschigen Stofftierchen vor Ort. Ersatzweise bot die Ergo-Tour die unendlich ermüdende Monotonie des Auf-der-Stelle-Tretens.

Lediglich acht Fernsehgeräte brachten uns hin und wieder auf andere Gedanken, was schlimm genug war. „Der Kick kommt nicht aus der Länge der Rennen alleine“, erklärt Peter Mantik, Sieger des im Dezember gefahrenen Winterklassikers Giro de Baltic 98, „sondern aus der Unberechenbarkeit der Bedingungen, unter denen es stattfindet.“ Die Erfahrungen, die man dabei mache, wie man mit den Selbstzweifeln zurechtkomme, wie man auf ungeahnte Schwierigkeiten reagiere. „Einmal lief Bärbel Schäfer auf einem Kanal“, schildert der 24jährige, „da wäre ich beinahe durchgedreht und hätte aufgegeben.“

Doch er hielt durch, wenngleich er bei der Tour nicht die große Form seines Giro-Sieges hatte und Marco Dietzen (25) das „maillot jaune“ des Gesamtsiegers überlassen mußte. Konnten sich die Kontrahenten zu Beginn noch über lustiges Outfit oder das Fehlen der Zuschauermassen amüsieren, so hörte der Spaß bald auf. Bereits der erste Tag mit Prolog (10 km) und anschließender erster Etappe (30 km) sog den Fahrern die Kraft aus den Muskeln. Vor dem 18 Kilometer langen Einzelzeitfahren des sechsten Renntages hatten nicht weniger als drei von ihnen während einer spektakulären Kletterpartie nach „Alpe d–Huez“, der Königsetappe mit mindestens zwölf gefühlten Prozent Anstieg, demoralisiert aufgegeben.

Nicht so Dietzen. Er ließ seine Konkurrenz achtlos zurück wie eine leere Wasserflasche. Schnell wurden Dopingvorwürfe laut. Hatte er sich mit unerlaubten Präparaten in Fahrt gebracht? „Erhöhter Cannabis-Konsum“, vermuteten einige wenig Entspannte. „Kein Dopingvergehen“, beruhigte schließlich Tour-Arzt Ulli Kanne, das sei unter Studenten gang und gäbe.

Jens Steul vom Tour-Sponsor Radtouren in alle Welt verdeutlicht, um was es grundsätzlich ging: „Diese Sportler belasten sich genauso wie Jan Ullrich in körperlichen Grenzbereichen – nur auf einem anderen Niveau.“ Das kann ich bestätigen.

Gesamtklassement: 1. Marco Dietzen, 8:06:23 Stunden; 2. Peter Mantik, 4:08 min zurück; 3. Jan Rödel, 6:44 min zurück Bergwertung: 1. Marco Dietzen, 46 Punkte; 2. Jan Rödel, 31; 3. Peter Mantik, 20 Sprintwertung: 1. Der Autor, 41 Punkte, 2. Peter Belau, 33; 3. Frank Hinz, 19

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen