: Vom Skandal zur Legende
■ Ab dem 29. Januar beschäftigt sich der Tanzherbst mit dem Tanz-theater Europas und dem Einfluß von Kresnik & Co auf die Tanzwelt
Wir ersparen es Ihnen. Aber die Kalauer liegen quasi in der Luft, wenn eine Veranstaltung, die den Namen „Tanzherbst“ trägt, im Januar beginnt. Und jetzt wäre auch noch der richtige Zeitpunkt, den letzten müden Jahreszeitenwitz zum Besten zu geben, ehe es dafür zu spät ist. Denn bereits das nächste Stelldichein der interessantesten ChoreographInnen und Ensembles des modernen europäischen Tanzes wird unter einem anderen, noch zu kürenden Namen um die Gunst der ZuschauerInnen buhlen. Nun denn: der letzte Tanzherbst, der diesen Namen verdient, wird vom 29. Januar bis zum 7. Februar auf diversen Theaterbühnen und in mehreren Museumsräumen in Bremen und erstmals auch in Bremerhaven zu sehen sein.
Das Festival, das in seinen Anfängen eher den Charakter eines Workshops mit integrierten Tanzaufführungen hatte und sich erst seit 1995 als Tanzfestival mit hochkarätiger internationaler Beteiligung begreift, findet zum zehnten Mal statt. Das nennt nicht nur der Volksmund ein Jubiläum. Und so wundert es nicht, daß die Tanzherbst-VeranstalterInnen um die künstlerischen Leiterinnen Birgit Freitag und Susanne Schlicher ein jubiläumsreifes, 350.000 Mark teures Mammutprogramm auf die Beine gestellt haben, das in seinen 18 Aufführungen gleich in mehr als einer Hinsicht als Standortbestimmung konzipiert ist.
Ein gewichtiger Teil der Tanzherbstveranstaltungen widmet sich dem Rückblick auf dreißig Jahre Bremer Tanztheatergeschichte, die 1968 mit dem Engagement des jungen Hans Kresnik begann und sich mit so bekannten Namen wie Gerhard Bohner und Reinhild Hoffmann sowie den aktuellen ChoreographInnen Susanne Linke und Urs Dietrich verbindet. Welchen Einfluß die zum Teil ebenso legendären wie skandalträchtigen Anfänge des neuen jungen deutschen Tanztheaters, zu dem sich 1973 das einflußreiche Wuppertaler Tanztheater von Pina Bausch gesellte, noch auf die momentan tätigen jungen europäischen ChoreographInnen haben, kann gleich in mehreren Gastspielen studiert werden. Iztok Kovac präsentiert mit seinem Ensemble En-Knap das Stück „Codes of Cobra“, daß ost- und westeuropäische Tendenzen des Tanztheaters miteinander vereint und sich von Kovac Heimatstadt, der slowenischen Bergarbeiterstadt Trbovlje inspiriert weiß (2.2.). Die portugiesische Companhia Paulo Ribeiro zeigt „azul esmeralda“, eine Choreographie, die sich an der Logik des schnellen Bildschnittes im Film orientiert (4.2.). Die Produktion „In Antwort auf Ihr Schreiben“ des niederländischen Kollektivs Het Hans Hof Ensemble lotet tanzend den Wahnsinn im Alltag aus und ist eine von drei Tanzherbst-Veranstaltungen, die im Bremerhavener Theater im Fischereihafen (TiF) stattfinden (1.2).
Den Auftakt macht Josef Nadj mit der zehnköpfigen Artistengruppe Anomalie. Die im Ausland umjubelte Inszenierung des französischen Choreographen überschreitet die Grenzen zwischen Zirkus und Tanztheater. Das Ensemble besteht ausschließlich aus Absolventen der renommiertesten französischen Artistenschule (29. u.30.1.). Zahlreiche Veranstaltungen beschäftigen sich mit dem 1992 verstorbenen und von 1978 bis 1981 in Bremen tätigen Choreographen Gerhard Bohner. Neben einer ihm gewidmeten Fotoausstellung im Theater und im Institut Francais ist dabei vor allem das Gastspiel des Spaniers Cesc Gelabert erwähnenswert. Gelabert hat die Choreographie von Bohners wichtigstem Stück „Im (Goldenen) Schnitt I“ von 1989 rekonstruiert (6.2.).
Zu diesen Auftritten internationaler Ensembles gesellen sich viele Produktionen der Bremer Tanzszene, darunter Susanne Linkes speziell für den Tanzherbst entwickeltes Stück „Irritationen“, das sich mit der John-Cage-Installation in der Kunsthalle beschäftigt und ebendort seine Premiere feiern wird (7.2.). Urs Dietrich wird mit der Choreographie „An der Grenze des Tages“ zu sehen sein (31.1.). zott
Die weiteren Termine stehen im umfangreichen Programmheft.Infos erteilt von Mo-Fr, 13-18 Uhr, das Festivalbüro, Tel.: 76 87 1.Kartenreservierungen Bremen: Tel.: 36 53 33 3; Bremerhaven Tel.: 0471/ 93 23 30
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen