: Immer her mit den jungen Engländerinnen?
■ Die Antwort auf den strukturellen Machismo in Drum & Bass. Kemistry und Storm legen heute im WMF auf. Platten gibt's so lange nicht, ehe sie nicht alles selbst produzieren können
Kemistry und Storm gehören zu den gefragtesten Exportartikeln aus dem Hause Drum&Bass. Sie touren als DJs durch die Gegend, ohne eine einzige Platte veröffentlicht zu haben. Sie teilen sich eine Plattensammlung und arbeiten als Team zusammen an den Decks, wo sich für den kurzen Moment des großen Hypes Starkult breitgemacht hatte. Und sie sind als Frauen in einer Szene unterwegs, die von Männern dominiert wird. Drum&Bass wird ja nicht umsonst gern unterstellt, genderpolitisch etwas reaktionär zu sein.
Im Vergleich zu House und Techno, die nie vergessen hatten, daß zu ihrer Tradition auch schwule Discokultur gehört, erscheint die Beobachtung auch nicht so ganz falsch. Als D&B anfing, spielte man im Club gern die guten alten Geschlechterrollen nach: Röckchen, so weit das Auge reichte, und unterschiedliche Tanzstile für boyz and girls. Kein Wunder, daß es in D&B kaum weibliche DJs gibt, von den üblichen Ausnahmen abgesehen: DJ Rap, Kemistry und Storm, Storm, Kemistry und DJ Rap.
Inzwischen sind die Frauen eine ganze Weile im Geschäft. Sie haben den HipHop-Fan Goldie überhaupt erst in einen Club geschleppt, in dem Jungle lief. Dafür hat er ihnen Geld für zwei ordentliche Plattenspieler geliehen. Dann managten sie gemeinsam dessen Metalheadz-Label, das inzwischen von jeder EP 15.000 Kopien verkauft. Obwohl die beiden auch durchs Plattendrehen genügend Credibility angehäuft haben, wollen sie nicht eher eigene Stücke veröffentlichen, bevor sie nicht über die technischen Fähigkeiten verfügen, eine Produktion allein durchzuziehen. Mit derselben Ernsthaftigkeit verstehen sie ihre DJ-Sets als Arbeit an der Party.
Die hatte in letzter Zeit unter dem Regime von Two Step etwas gelitten. Anstelle hochgepitchter Mickey-Mouse-Vokal-Tracks, kitschiger Samples und überdrehter Beats regierten plötzlich böse Sounds und die Bum-Tschaks von Two Step die Tanzböden, was man durchaus als weiteres Indiz für einen strukturellen Machismo in D&B interpretieren darf. Was mit Ed Rush als Wiedergeburt von Motörhead-Aggression im Zeitalter digitaler Klangwerkzeuge mal vielversprechend angefangen hatte, wurde bald zu einem endlosen monotonen Getrommel, das im schlimmsten Fall eine ganze Generation enthusiastischer Junglists aus den Clubs getrieben hat.
Auch Kemi und Storm haben offensichtlich die Nase voll davon und wollen weiter, was in diesem Fall offensichtlich nichts anderes heißt als zurück zur Party. Zurück zu Samples, die von Funk, Disco und Ekstase sprechen. Für ihren letzten Auftritt im WMF transportierten sie dann auch vermehrt Tracks mit positiven Vibes über den Kanal. Ihre Sets sind seit jeher eklektizistisch, lassen nichts aus und sind in Berlin schon Legende, seit sie zum ersten Mal an den Reglern des Toaster standen. In ein paar Tagen wird ein DJ-Kicks Album von ihnen erscheinen. Als digitales Gedächtnis für zu Hause. Ulrich Gutmair
Kemistry/Storm und die Hard: Edged Residents; Lounge: Edu Delgado Lopez/Marie. Heute im WMF, Johannisstr. 19, Mitte
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen